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„Schule braucht einen offenen Horizont“

Islamunterricht einzuführen, sei ein Rückschritt und spalte Schülerschaft, warnt der Erziehungswissenschaftler Wolfram Weiße. Dominoeffekt drohe Schulfach Religion auszulöschen. Hamburgs interkonfessioneller Unterricht erfolgreicher bei IntegrationINTERVIEW: EVA WEIKERT

Der Vorstoß von Bürgermeister Ole von Beust (CDU) für ein Schulfach Islam Anfang der Woche trifft auf breite Ablehnung in der Stadt. Die evangelische Kirche, Pädagogen und die rot-grüne Opposition warnen übereinstimmend davor, die Schüler nach Glaubensrichtungen aufzuteilen und den seit Jahrzehnten unter evangelischer Regie praktizierten interkonfessionellen „Religionsunterricht für alle“ abzuschaffen. Auch die größte Organisation der Hamburger Muslime, die Schura, lehnt die Trennung nach Konfessionen ab, weil der gemeinsame Unterricht Toleranz lehre. Allein die Katholiken begrüßen ausdrücklich den Bürgermeister-Plan, dessen Umsetzung die Bildungsbehörde „im Konsens mit allen Beteiligten“ verspricht.

taz: Herr Weiße, warum lehnen Sie ein separates Schulfach Islam ab?

Wolfram Weiße: Pädagogisch wäre es falsch, Schüler auf Dauer in der Schule zu trennen. Man sollte nicht aufgrund von Religionszugehörigkeiten Barrieren aufbauen, weil das zu wechselseitigen Verkrustungen und Verhärtungen führt. Die Schule soll ja auf Integration bedacht sein. Der zweite Grund ist ein gesellschaftlicher. Oft spiegeln diese Trennungen auch ökonomische und soziale Spaltungen wider, die ohnehin vorhanden sind. Wir sehen etwa in Wilhelmsburg, dass dort muslimische Schüler in anderen Gegenden wohnen als die deutschen und Kontakt zwischen ihnen nur in der Schule stattfindet. Die Schule ist also ein Raum, in dem man sich begegnen und kennen lernen kann. Da wäre eine Trennung im Unterricht kontraproduktiv.

Die Schulbehörde sagt aber doch, der Islamunterricht solle „allen Kindern“ offen stehen.

Die Frage ist, warum man diejenigen künstlich trennen soll, die miteinander ins Gespräch kommen müssen. Wir haben die Erfahrung gemacht, dass durch das Aufeinandertreffen verschiedener Religionen und Weltanschauungen die Gespräche im Unterricht interessanter werden und der Einzelne mehr über seine eigene Religion erfahren will. Darum ist interreligiöser Unterricht auch inhaltlich sinnvoller.

Islamunterricht einzuführen wäre also ein Rückschritt?

Das wäre nicht nur ein klarer Rückschritt, es würde auch einen Dominoeffekt auslösen. Es würden nicht nur die Schüler getrennt, die bisher in aller Freiheit über ihre Religion sprechen und sich wechselseitig im Spiegel der anderen wahrnehmen können.

Auch die Bestrebungen von Gruppen in verschiedenen Religionsgemeinschaften könnten Aufwind bekommen, einen separaten Unterricht einzuführen, so dass es zur Zersplitterung in verschiedene Religionsunterrichte käme. Und weil das organisatorisch kaum zu schaffen ist, wäre das Fach Religion faktisch in der Schule bedroht.

Viele Politiker argumentieren, dass Islamunterricht unter staatlicher Aufsicht fundamental-religiöser Erziehung etwa in Koranschulen entgegenwirke.

Das ist bis heute nicht bewiesen und darum nur eine Spekulation. Ich schlage vor, gesicherte Forschungsergebnisse abzuwarten, denn bisher ist die Vielfalt der Moscheen und Kurse nicht durchbuchstabiert. Beispielsweise wird gerade in der Zentrumsmoschee eine neue Konzeption von Religionspädagogik ausprobiert, die offener ist.

Um Fundamentalismus, der ja nur das eigene kennt und will, vorzubeugen, ist meines Erachtens ein Lernvorgang elementar: dass man eigene Positionen vertreten kann, ohne dass man sich durch andere bedroht sieht. Das können Schüler lernen, wenn sie, ungeachtet ihres Hintergrundes, ins Gespräch kommen.

Sie schlagen vor, dass muslimische Lehrer phasenweise den „Unterricht für alle“ machen.

Ich denke, dass jetzt ansteht, innerhalb des gemeinsamen Unterrichts die Lehrerbildung für Muslime zu stärken. Wir fordern seit Jahren, dass in der Uni neue Ressourcen für islamische Theologie, aber auch für jüdische Theologie und Buddhologie geschaffen werden. Das ist Voraussetzung dafür, dass dort eine Lehrerausbildung stattfinden kann. Von Beusts Vorstoß ist ein guter Anlass, darüber zu sprechen. Die Uni wäre dazu konzeptionell bereit, nur müsste der Senat Finanzmittel bereitstellen.

Bundesweit hat Hamburg mit seinem interkonfessionellen Unterricht eine Alleinstellung. Wie lehren unsere europäischen Nachbarn Religion?

Die führenden Wissenschaftler in Europa empfehlen auf jeden Fall interkonfessionellen Unterricht. Die meisten europäischen Länder verstehen die konfessionelle Ausrichtung, die in fast allen Bundesländern vorherrscht, nicht so recht. Ich denke, dass das Modell konfessioneller Trennung für die Zukunft in Europa keine Chance hat.

In der Schule muss ein offener Horizont vorhanden sein. Sie hat nicht die Aufgabe, ins religiöse Leben einzuführen, sondern über Religionen zu informieren und sich über religiöse Positionen auszutauschen.

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