Emanzipation vom Plattenboss

Auch Blixa Bargeld trifft nicht immer den Ton: Via Internet und DVD zieht die Community der Fans ins Studio ein

Für musikalische Innovationen sind längst andere zuständig, doch wenn es darum geht, das Internet als Band kreativ zu nutzen, da sind sie wieder vorne dran: die Einstürzenden Neubauten. Das belegt die eben auf DVD erschienene Dokumentation „on tour with neubauten.org“. Sie beschreibt, unter welch absonderlichen Umständen die letzte Platte der Berliner Band, „Perpetuum Mobile“, 2004 entstanden ist.

Die Neubauten standen vor der Arbeit an dieser Platte vor folgender Ausgangslage: Sie hatten die üblichen Probleme mit ihrer Plattenfirma, kaum Geld, aber überall in der Welt viele Fans – und das Internet. Also gründeten sie die Internetplattform „neubauten.org“, die man für einen einmaligen Beitrag von 35 Euro besuchen konnte. Man wurde so Teil einer Neubauten-Community, gab der Band das nötige Kleingeld, um ihre Platte unabhängig produzieren zu können, durfte dem Entstehungsprozess sogar mittels Webcasts aus dem Aufnahmestudio beiwohnen und diesen gar via Chats beeinflussen. Die Band musste sich nicht den Geiern eines Wirtschaftsunternehmens ausliefern, sondern stellte sich direkt ihren Fans. Als Dankeschön gab es für diese ein exklusives „Supporters Album“ und das gute Gratisgefühl, einem aufregenden Projekt beigewohnt zu haben. Der Film „on tour with neubauten.org“ zeigt dann auch nur zufriedene Gesichter. Blixa Bargeld und die Seinen strahlen sowieso, und die so genannten Unterstützer aus aller Welt sagen vor der Kamera aus, wie glücklich sie sind, dabei gewesen zu sein. Ein Pärchen hat sich gar über einen Neubauten-Chat kennengelernt und inzwischen geheiratet. Eine ist glücklich, ihr Geld an den Plattenfirmen vorbei direkt an ihre Lieblingsband überwiesen zu haben, eine andere hat das Gefühl, als Konsumentin endlich auch mal ernst genommen worden zu sein.

Überhaupt ist es ein interessanter Aspekt, dass hier eine Band bereit war, den eigenen Künstlermythos in Frage zu stellen. Dank der Webcasts konnten die Supporter schließlich sehen, dass auch ein Blixa Bargeld wahrscheinlich nicht immer den Ton trifft und nicht jeder musikalische Einfall Gold ist; man konnte erleben, dass das Entstehen einer Platte nichts mit Magie, sondern ganz viel mit schnöder Arbeit zu tun hat. Der Film wird dem eigenwilligen Projekt der Neubauten durchaus gerecht, indem er den Fokus weniger auf die Band, sondern auf die Gemeinschaft der Unterstützer richtet.

Allerdings wirkt er durch das durchgängige Aneinanderkleben von kurzen Interviewpassagen – nur selten sorgt ein wenig Neubauten live vor Publikum für etwas Abwechslung – etwas langatmig. Der Film ist auch nicht objektiv, sondern will unbedingt das Aufregende an der dokumentierten Neubauten-Aktion herausarbeiten. Der Weg, den die Neubauten eingeschlagen haben, kann allerdings nur bedingt kopiert werden. Für eine Wald-und-Wiesen-Band ohne Plattenvertrag wird sich kaum eine Gemeinschaft finden, die bereit ist, ein paar Newcomer zu finanzieren. Man braucht also eine gewisse Reputation und eine sichere Fanbasis, um es den Neubauten nachmachen zu können. Andererseits ist es wunderbar, endlich eine Band vorgeführt zu bekommen, die nicht über das Internet und Raubkopien jammert, sondern dank dieser Technik endlich auch mal richtig was verdient hat.

Ob Plattenfirmenbosse durch diesen Film unruhig auf ihren Chefsesseln hin- und herrutschen werden, kann allerdings bezweifelt werden. In den normalen Plattenläden wollten die Neubauten „Perpetuum mobile“ am Ende schließlich dann doch sehen, und um dies zu ermöglichen, brauchten sie eben doch wieder eine ganz normale Plattenfirma.

ANDREAS HARTMANN

Einstürzende Neubauten, „on tourwith neubauten.org.“ Dokumentation von Danielle De Picciotto. DVD:Monitorpop