Zwei Politiker, ein Paar

EINFLUSS Wenn Politiker Politiker lieben, trifft Gerd auf Doris, Sahra auf Oskar, und Gefühl auf Geschäft. Alle schauen hin: Klüngeln die? Protegieren die sich? Zwei Spitzengrüne erhalten ihre Beziehung mit Abkommen und Tabus

■ Macht: Das Wort hatte ursprünglich eine weniger belastete Bedeutung als heute. Im Althochdeutschen etwa stand es schlicht für Können, für Fähigkeit und Vermögen. Mittlerweile wird der Begriff vorrangig mit Herrschaft assoziiert. Deshalb sagen wir Machtergreifung, Machtapparat, Machthaber oder Machtwechsel.

■ Eros: Das Wort stammt aus dem Altgriechischen und bedeutet Liebe oder Begehren. Das Objekt des Eros ist nicht zwangsläufig ein Mensch, es kann auch etwas Geistiges, eine Idee etwa, sein. Im antiken griechischen Verständnis wurde Eros oft mit Politik in Verbindung gebracht, zum Beispiel, um Patriotismus zu beschreiben.

■ Öffentlichkeit: Bill Clinton und Monica Lewinsky, Willy Brandt und die Stern-Reporterin Heli Ihlefeld, Christian Wulff und Bettina, Jahrgang 1973, Horst Seehofer und Anette Fröhlich, Jahrgang 1974, Franz Müntefering und Michelle, Jahrgang 1980, Theo Waigel und die Skirennläuferin Irene Epple, Silvio Berlusconi und viele.

VON PAUL WRUSCH
(TEXT) UND BERND ARNOLD (FOTOS)

Wenn man die Grünen in politische Lager teilt, dann ist Sven Lehmann ein Fundi und Arndt Klocke ein Realo. Lehmann ist gegen schwarz-grüne Gedankenspiele, Klocke ist dafür offen. Lehmann kann sich die Linkspartei als Koalitionspartner vorstellen, Klocke nicht. Lehmann ist für ein bedingungsloses Grundeinkommen, Klocke dagegen.

Die beiden wären prädestiniert dafür, innerparteiliche Gegner zu sein. Stattdessen sind sie seit fast zwölf Jahren ein Paar.

Und nicht irgendeines. Sie sind zwei zentrale politische Figuren im größten Landesverband der Grünen, in Nordrhein-Westfalen. Sven Lehmann ist seit 2010 Parteichef, sein Partner Arndt Klocke war sein Vorgänger, dann stellvertretender Fraktionsvorsitzender und ist heute ein Sprecher der Fraktion. Maximale persönliche Nähe verbunden mit maximaler politischer Distanz. Wie funktioniert das?

Die USA haben die Clintons, Argentinien hat die Kirchners. Frankreich hatte Hollande und Royal. In Deutschland gibt es die Schröders, Oskar und Sahra. Und eben: Sven Lehmann und Arndt Klocke.

Politikerpaare umgibt eine besondere Aura, dieses leicht Verruchte. Gegenseitiges Protegieren, Machtkonzentration, Geklüngel. Politik am Küchentisch, Abhängigkeit.

Dass sich Paare im Arbeitsumfeld finden, ist vielleicht nichts Besonderes. Wir verbringen den Großteil unseres Tages mit Kollegen. Heiraten zwei Bankangestellte, führen sie keine Bankerehe. Aus zwei Ingenieuren wird kein Ingenieurspaar. Führen Politiker aber eine Beziehung, wird es interessant. Dann trifft die stärkste menschliche Emotion auf das harte Geschäft der Spitzenpolitik. Intrigen, Kämpfe, Strategien. Beäugt vom politischen Gegner, vom innerparteilichen Feind, von den Medien.

Wie kann inmitten dieses manchmal skrupellosen Betriebs eine Liebesbeziehung entstehen – und vor allem: Bestand haben?

März 2013, der Frühling tastet sich an diesem Wochenende an das Jahr heran, bevor es wieder Winter wird. Sven Lehmann sitzt auf der Bühne der Mülheimer Stadthalle. Im Ruhrpott, wo eine Stadt in die nächste fließt. Als Parteichef gehört er aufs Podium. Arndt Klocke hat beim grünen Fußvolk im Saal Platz genommen, vorne in der ersten Reihe. Fünf Meter trennen sie.

Aus Kreisverbänden, dem Landtag, dem Bundestag und Europaparlament sind die 100 Delegierten zum Grünen-Parteitag in Nordrhein-Westfalen diesen Sonntag gekommen. Der Partei geht es gut. Die Umfragewerte sind stabil, die Mitgliederzahlen steigen, und die Piraten liegen am Boden. Beim Parteitag wird über ein neues Hochschulgesetz diskutiert, über Konsequenzen aus verschiedenen Lebensmittelskandalen und eine grüne Haushalts- und Finanzpolitik für das Land.

Alles eher unspektakulär. Man regiert seit drei Jahren mit der SPD das bevölkerungsreichste Land, die Stimmung ist gelöst. Inhaltliche Konflikte gibt es kaum, innerparteiliche spielen keine Rolle. Es ist einer der seltenen Termine, bei denen das Paar Lehmann/Klocke gemeinsam erscheint. Sonst ist ihre Arbeit in Partei und Fraktion völlig unterschiedlich.

Sven Lehmann redet etwas zu schnell. 33 ist er jetzt. Seine Aufgabe in Mülheim: als Parteichef über das Große und Ganze sprechen. Die aktuelle politische Lage analysieren, die Basis und das Spitzenpersonal begeistern. In seiner Ansprache spannt er den Bogen von der Energiewende über soziale Gerechtigkeit bis zur Wasserprivatisierung. Bei der Frage zur Gleichstellung homosexueller Paare wird er leidenschaftlich.

„Der rosa Lack wird von der Union wieder abbröckeln.“

„Vom Bundesverfassungsgericht fühle ich mich gut regiert.“

Sätze, die sitzen.

Arndt Klocke ist oft der Erste, der mit dem Zwischenapplaus beginnt.

Sven Lehmann trägt Jeans, Turnschuhe, ein hellbraunes T-Shirt unterm dunkelbraunen Jackett. Trotz seiner hohen Stirn sieht er nicht älter aus, als er ist. Lehmann ist in wenigen Jahren weit gekommen, als Landeschef der Grünen in NRW, dem größten und mächtigsten Verband der Partei, mischt er sich auch bundespolitisch ein. Flirten die Realos mit den Schwarzen oder begehren konservative Grüne gegen Parteibeschlüsse auf, ist Lehmann einer, der von Journalisten gefragt wird. Und dann pointiert seine linke Meinung kundtut, die Realos zurechtweist. Oft vertritt er Positionen des linken Rands. Er brennt für das bedingungslose Grundeinkommen, für neue Familienformen. Seine politische Zukunft liegt wohl außerhalb Nordrhein-Westfalens.

Arndt Klocke, 42, hat dagegen eine längere Politikerkarriere hinter sich. Er war vier Jahre Landeschef der Grünen in NRW, dann Fraktionsvize. Egal, ob Koalitionsoptionen oder Steuerkonzepte, Krieg oder Frieden: Er ist Pragmatiker. Tritt seriös auf, schwarzes Jackett, schwarze Schuhe.

Er brennt für den Radverkehrswegeplan, für Mobilitätskonzepte der Zukunft.

Für den Parteitag hat er an einem Gesetzentwurf für ein neues Hochschulgesetz mitgearbeitet. Seine Aufgabe in Mülheim: Die Eckpunkte des Gesetzes verständlich präsentieren, den politischen Gegner angreifen, studentische Wähler fangen. Er redet engagiert, rhetorisch professionell und klar.

Dass er und Lehmann ein Paar sind, man merkt es nicht auf dem Parteitag. Während über Biobauernhöfe und Ökofonds diskutiert wird, gibt es da bloß diese Blicke. Vom Podium in die erste Reihe und zurück.

Kurze Momente nur, ein Lächeln, wissend und vertraut. Arndt Klocke echauffiert sich hinter dem Mikro über mangelnde Transparenz in den Hochschulen, Sven Lehmann stützt den Kopf auf der Hand ab und blinkt nach rechts, zu ihm.

Schröder und Schröder-Köpf: der Promibonus

Jetzt steht sie im Rampenlicht, der Exkanzler ihr Wahlkampfhelfer. Gerd Schröder und Doris Schröder-Köpf haben die Rollen getauscht. Er kümmert sich um die Kinder, ordnet sich unter, so wirkt das wenigstens, und sie macht politische Karriere.

Damals gab sie ihren Job als politische Journalistin auf, ihr Mann der neue Kanzler. Sie galt als seine engste Vertraute, las seine Reden, entwickelte Ideen mit.

Deshalb wird sie auch heute das Gerd-Etikett nicht los. Obwohl sie für die SPD im Landtag von Niedersachsen sitzt, Integrationsbeauftragte ist: Kaum ein Interview ohne die Frage nach dem Mann. Ohne den Promibonus wäre sie nicht, wo sie ist. Eine Frau ohne eigene, direkte Politikerfahrung, ohne Stallgeruch und Hausmacht, sie wäre nie in einem Wahlkreis aufgestellt worden. Gerd ist Fluch und Segen, sie ohne ihn nicht denkbar.

Zwei Stunden nach dem Parteitag sitzen Lehmann und Klocke am Kölner Rudolphplatz in der Brennerei Weiß, irgendetwas zwischen Brauhaus und schwuler Szenekneipe. Es riecht nach getrocknetem Bier. Der hellgraue Boden klebt noch, Reste des Karnevals, der hier vor vier Wochen tobte.

Wie sie sich kennengelernt haben?

„Ich war zum ersten Mal bei einem Treffen der Grünen Jugend NRW in Köln. Thema Afghanistankrieg. 2001 war das. Arndt hatte man als erfahrenen Grünen eingeladen, der die Sitzung leiten sollte.“ Wenn Lehmann erzählt, fokussiert er sein Gegenüber. Er war 21, Arndt Klocke 30.

„Er ist mir aufgefallen. Er war jung, eloquent. Wir hatten schon einmal Mails geschrieben vorher. Als er sich vorstellte, rutschte mir ein ,Ach, du bist Sven Lehmann‘ raus.“ Wenn Klocke spricht, hält er Daumen und Zeigefinger vor den Mund, als überlege er, was er als Nächstes sagt. Sein Blick bleibt selten am Gesprächspartner hängen.

Aber sie lächeln, man meint jetzt zu merken: Die zwei da, einer links, einer rechts, sind ein Paar.

Eine zweite Runde Kölsch.

Die Voraussetzungen damals sind schwierig, erzählen sie. Arndt Klocke hat eine Beziehung in Münster, Sven Lehmann eine mit einer Frau. „Viele Freunde dachten, wir bleiben für immer zusammen. Mit Haus auf dem Land, Kindern, Garten, Auto.“ Da ist Lehmann noch nicht schwul. Bi vielleicht. Theoretisch.

„Aus einer linken, queeren Haltung heraus habe ich solche Einordnungen sowieso immer abgelehnt“. Bis Arndt Klocke plötzlich da ist. Sie schreiben sich Dutzende Mails in den Wochen nach dem ersten Treffen.

Klocke sagt: „Er hatte Tiefgang, befasste sich mit Themen, die ungewöhnlich waren für einen jungen Mann. Feminismus etwa. Wir diskutierten, ich fand das spannend.“

Lehmann sagt: „Ich kam aus dem Dorf, es war eng, katholisch. Er war so frei, wohnte in Köln, war emanzipiert, geoutet. Ich fand ihn spannend.“

Irgendwann, ein halbes Jahr, ein Jahr später, sehen sie sich in Berlin. Eine Grünen-Veranstaltung.

Lehmann ist Sprecher der Grünen Jugend NRW, Klocke Beisitzer im Landesvorstand der Altpartei. Beide sind Single. Nachts küssen sie sich.

Dass sie jetzt ein Paar sind, nimmt in der Partei kaum jemand wahr. Es wissen nur enge Freunde davon. Nicht, weil sie aus sich ein Geheimnis machen wollen. Einfach, weil es vorerst keine Rolle spielt.

Eine dritte Runde Kölsch.

Die persönliche Nähe nimmt zu, die politische Distanz auch. Lehmann ruft zur Demo gegen die eingeführten Langzeitstudiengebühren auf. Er verteilt Flugblätter gegen die damalige rot-grüne Landesregierung. Er rebelliert. Das ist seine Aufgabe, seine Überzeugung. Nicht verbiegen lassen. Und Arndt Klocke? Gehört zum grünen Establishment, gegen das es sich aufzulehnen gilt.

„Ich fand den Protest damals falsch“, sagt Arndt Klocke heute, zehn Jahre später.

„Es war wichtig und richtig“, sagt Sven Lehmann.

Daniel Wesener und Dirk Behrendt. Zwei Berliner Grüne, einer Parteichef, einer Fraktionsmitglied, zusammen ein Paar. Beide im linken Flügel der Partei. In der Partei wird über sie geredet, seit Jahren. 2011 will Behrendt Fraktionschef Volker Ratzmann stürzen und selbst aufsteigen. Nach dem enttäuschenden Wahlausgang zerstreiten sich die Berliner Grünen heftig. Behrendt unterliegt Ratzmann knapp.

Wenig später tritt Ratzmann trotzdem zurück. Er faucht: „Wie konnte es passieren, dass nicht mal problematisiert wurde, dass der Lebenspartner des Landesvorsitzenden zum Fraktionsvorsitz greift, wenn die politisch einflussreichsten Ämter familiär verbunden werden sollen?“

Ein angegriffenes Powercouple, das den gleichen Typus Politiker verkörpert, den gleichen Typus der Grünen. Links, Kreuzberg, schwul, jung. Gemeinsame Themen, gemeinsames Auftreten, gemeinsame Ziele.

Darüber reden wollen sie nicht. Der Kampf ist entschieden, mit Wesener als Landeschef und Behrendt als einfachem Fraktionsmitglied – gescheitert aufgrund seines Privatlebens.

Klocke und Lehmann aber bleiben zusammen, sie reifen – und trennen sich. Als Klocke 2006 Landeschef der Grünen wird, steigt Lehmann als Beisitzer in den Landesvorstand auf. „Ich war da als Vertreter der Grünen Jugend der Kandidat des Jugendverbands“, sagt er. Zum ersten Mal wird über sie getuschelt, in den eigenen Reihen. „Ihr seid doch ein Paar!“ und: „Geht das denn?“ Dabei waren sie genau in diesen Monaten eine Weile getrennt. „Die Skepsis gegen ein Paar im Vorstand war also unbegründet“, sagt Klocke. Sie müssen nicht lügen.

Nicht zuletzt die gemeinsame Zeit im Landesvorstand, die montäglichen Sitzungen bringen sie wieder zusammen.

Nie hatte es dabei so ausgesehen, als machten sie gemeinsame Sache. Im Gegenteil. „Sven hat häufig Themen der Grünen Jugend eingebracht. Arndt hat das wohl nicht immer gefallen“, sagt eine langjährige Weggefährtin der beiden. „Aufgefallen ist mir die Beziehung lange Zeit nicht, erst durch den Flurfunk habe ich das irgendwann 2008 erfahren“, sagt eine Grünen-Politikerin.

„Wir wurden in diesen vier Jahre nie von Grünen auf unsere Beziehung angesprochen“, sagt Lehmann. Gab es Gerede? „Nicht, dass wir wüssten.“

Hollande und Royal: keine Skandale. Bis 2005

Egal wen man fragt, innerparteiliche Freunde oder Gegner, langjährige politische oder private Weggefährten: Niemand kann auch nur eine Geschichte erzählen, in der sich Lehmann und Klocke gegenseitig protegiert – oder versucht haben, eine politische Agenda in der Partei durchzusetzen.

„Eigenständige politische Persönlichkeiten“, lautet die häufigste Beschreibung. Der eine Realo, der andere Linker.

„Ich hatte nie das Gefühl, dass das, was ich dem einen anvertraue, automatisch beim anderen ankommt“, sagt Daniela Schneckenburger. Sie war vier Jahre an der Seite Arndt Klockes die Grünen-Chefin in NRW. „Es gab keinen Anlass für den Vorwurf des Klüngels, der Politik am Küchentisch. Durch die konkrete politische Arbeit und ihren Sachverstand in ihren Politikfeldern kam erst gar kein Getuschel auf“, sagt Kai Gehring, grüner Bundestagsabgeordneter aus NRW, der die beiden seit mehr als zehn Jahren kennt. „Sie haben beide eine hohes Maß an Professionalität, es gab weder Sippenhaft noch ein Akzeptanzproblem“, sagt Sylvia Löhrmann, lange Jahre NRW-Fraktionschefin der Grünen.

Zum zweiten Mal wird 2010 getuschelt. Klocke kandidiert nicht mehr als Landeschef, sondern tritt sein Landtagsmandat an. Und wird mit dem landesweit besten Grünen-Ergebnis gewählt. Sven Lehmann wird Parteichef. „Er war der natürliche Nachfolger, nach seiner Zeit im Landesvorstand. Jung, links, beliebt und mit Sachverstand“, sagt Klocke. Trotzdem wird geredet. Manche sagten, so erzählt er, das Amt werde in der Familie vererbt. Offensiv allerdings verwendet keiner ihre private Beziehung gegen sie.

„Wir wollten trotzdem in die Offensive gehen“, sagt Lehmann. „Wir wollten verhindern, dass es zu Gerüchten und Gerede kommt. Also haben wir uns für ein gemeinsames Porträt in der Rheinischen Post entschieden.“

Ausgerechnet die Rheinische Post. Konservativ, schwarz. Aber Platzhirsch im Land. „Homosexuelles Paar sorgt für Gesprächsstoff. Zwei Grüne, die Liebe und die Politik“, heißt es im Text, der dennoch wohlwollend ist. Lehmann sagt: „Wir haben damit Klarheit geschaffen, jeder wusste es jetzt. Und wir haben darauf hingewiesen, dass es vor uns schon andere Paare mit Macht bei den Grünen gab.“

François Hollande und Ségolène Royal, das Paar der französischen Sozialisten. Sie lernen sich Ende der siebziger Jahre kennen, werden ein Paar, bekommen vier Kinder, heiraten nie. Bei den Sozialisten steigen sie rasch auf. Royal schafft es in mehrere Regierungsämter, Hollande schließlich zum Parteichef. Keine Skandale, keiner muss zurückstecken, beide spielen in derselben Liga.

Bis er sich verliebt, 2005 etwa, in die Journalistin Valérie Trierweiler. Sie verheimlichen ihre Affäre, die erst zwei Jahre später auffliegt. Zuvor kommt die Frage auf, wer für die Sozialisten um die Präsidentschaft kämpfen sollte. Hollande als Parteichef hätte das Zugriffsrecht. Er lässt Royale den Vortritt. Ihre Beziehung ist da längst nur noch eine Farce.

Sie wird Frankreichs begehrteste Frau. Sie kämpft für den Sieg und verliert gegen Nicolas Sarkozy. Einen Monat später, im Juni 2007, am Abend der Parlamentswahlen, wirft Royal den heutigen französischen Präsidenten aus dem Haus. Nach fast dreißig Jahren platzt die Beziehung. Während sich Royale politisch nie wieder richtig fängt, wird er 2012 französischer Präsident.

Sven Lehmann, Arndt Klocke, wie machen Sie das?

„Wir wissen, dass wir unterschiedliche Auffassungen haben, etwa beim Thema Grundeinkommen. Und wir versuchen nicht, uns gegenseitig zu bekehren“, sagt Lehmann.

Sie reden selten über Politik, sagen sie. Aber sie geben sich Tipps, vor Reden, vor Interviews – und natürlich Feedback. Wie das Partner eben tun. Gemeinsamkeiten fänden sie schon, neue Familienformen etwa sind für beide in ihrer politischen Arbeit zentral. Der CSD, ein Pflichttermin, jedes Jahr. Auch jetzt, Anfang Juli, sind sie bei der Kölner Parade der Schwule und Lesben.

Trotzdem: Tabus müsse es auch geben.

Lehmann ist für Rot-Rot-Grün offen, Klocke eher für Schwarz-Grün. „Privat klammern wir das aus“, sagt Klocke.

Flügeltreffen, Personalfragen, Strategien zwischen Fraktion und Partei. „Privat klammern wir das aus“, sagt Lehmann.

Und sonst, wie klappt das – also jetzt mal: konkret?

Wahrscheinlich helfe, meinen sie, dass sie nicht zusammen wohnen. Zwei, drei Treffen in der Woche. Richtige Dates seien das, geplante, private Zeit. Alltagsvermeidung als Rezept für ein funktionierendes Politikerpaar.

„Wir sind sehr eng, sehr verbindlich, wenn wir zusammen sind. Aber gleichzeitig mit vielen Freiräumen“.

Lehmann erzählt das in einem Berliner Café, sein Lächeln offen. Fragen Sie weiter.

Freiräume? „Ja, Freiräume.“ Soll heißen: auch sexuelle Freiräume?

„Ja, auch sexuelle.“

Dass sie keine monogame Beziehung führen, erzählen sie erst nach einer Weile. Einiges bleibt auch dann vage. Zu intim. Es gebe aber kein „heute hier, morgen dort“, sagt Lehmann. Die gemeinsame Zeit gehe immer vor.

Warum sprechen zwei Politiker so offen über so Persönliches? Ist das vielleicht auch so eine Strategie?

Oder halten sie das für die Erklärung, warum ihre Beziehung sonst nicht so gut funktionieren würde? Und wollen damit eine politische Botschaft vermitteln: Es geht auch anders. „Es ist leichter, als Paar so zu leben, wie wir es tun. Wenn wir als Paar unabhängig sind, ist es nur folgerichtig, dass wir das auch in der Politik so leben“, sagt Lehmann. Ihr Beziehungskonstrukt nenne sie ein „Frischhalteabkommen“. Man sollte nicht „kernfusionieren“, sagt Klocke.

„In den meisten Beziehungen werden sich Freiheiten einfach genommen, wird fremdgegangen, obwohl es verboten ist. Das ist ein einziges Lügengerüst, warum tun sich das so viele Menschen an?“, fragt der eine.

„Wie halten sie diese Spannungen aus? Diese Enge, das Sich-Betrügen?“, fragt der andere. „Dafür gibt es doch gar keine Notwendigkeit.“

Der Oskar und die Sahra: Mentor und Ziehkind

„Ein Partner soll heute so viel sein, so viele Anforderungen: bester Freund, Urlaubsbegleitung, intellektueller Austausch, Sexualpartner, Freizeitkumpel, Schulter zum Ausheulen. Über lange Zeit erfüllen das doch nur fünf Prozent der Paare, die Kombination aus allem. Wenn aber mein Partner einige der wichtigen Punkte erfüllt, ist das eine gute Grundlage für eine Beziehung“, sagt der eine. „Beziehungen sind immer nur auf Zeit angelegt, und mit ganz viel Glück auf ewig“, der andere.

Das Liebesbekenntnis des Oskar Lafontaine, des Übervaters der Linken im Westen, war gänzlich unromantisch. „Ich lebe seit einiger Zeit getrennt und bin seit einiger Zeit mit Sahra eng befreundet.“ Ende 2011 auf dem Landesparteitag der Linkspartei im Saarland bringt er sie mit. Gerüchte hatte es vorher gegeben, Ehepartner auch. Gewissheit erst dann.

Ihre Beziehung ist hochpolitisch. Lafontaine gilt lange als Mentor der jungen Sahra Wagenknecht, der Linksaußen in der Linkspartei. Es heißt immer wieder, er wolle einen Generationenwechsel in der Partei vorbereiten und das Feld nicht den eher pragmatisch orientierten Ostlern überlassen.

Die oft als Betonlinke bezeichnete Wagenknecht, jung, unnahbar und hart in ihren Ansichten, ist sein politisches Ziehkind. Sie steigt auf in der Partei, in der Zeit, in der er sich langsam von den großen Ämtern zurückzieht. Nicht zuletzt durch Wagenknecht bleibt Lafontaine immer präsent und stiller Einflüsterer.

Berlin im Mai. Die Grünen verabschieden ihr Wahlprogramm. Tausende Änderungsanträge in drei Tagen. Lehmann und Klocke sind getrennt zur Veranstaltungshalle, ins Tempodrom angereist, beide mit der Bahn. Klocke musste länger in der Fraktion arbeiten. Im NRW-Block sitzen sie weit voneinander entfernt.

Eine Kernfrage des Wochenendes: Soll das Bekenntnis zum SPD-Koalitionspartner in die Präambel des Wahlprogramms? Eine Frage entlang der Flügel. Eine, die Lehmann und Klocke trennt. Die Linken sind dafür, die Realos dagegen. Kurz vor der Abstimmung läuft Lehmann durch die Reihen und versucht die Parteifreunde auf seinen linken Kurs zu bringen. Bloß dafür stimmen, alles andere würde als Signal für Schwarz-Grün gedeutet.

Und es klappt, die NRW-Grünen stimmen mehrheitlich für die linke Linie, für das SPD-Bekenntnis. Arndt Klocke sitzt da noch im Zug nach Berlin. Er hätte dagegen gestimmt.

Die Flügel der Partei treffen sich, weit nach Mitternacht. Lehmann geht zu den Linken, Klocke zu den Realos. Die Treffen dauern, aber die beiden haben verabredet, früher zu gehen. Eine Nacht in der Stadt. Im Hotel.

Wie wird die Zukunft?

„Kein Reihenhaus im Grünen mit ein paar Zimmern, Küche, Bad“, sagt Klocke, noch zwei Monate vor Berlin, und trinkt das vierte Bier am Kölner Rudolfplatz. Er ist etwas linker geworden, Lehmann etwas pragmatischer. Und die Beziehung verbindlicher.

Ist ihr Lebensmodell das Rezept für eine Politikerbeziehung, die läuft?

Gleiche Partei, aber unterschiedliche Strömungen, verschiedenen Themen, aber gegensätzliche Ansichten? Eine getrennte Wohnung? Das Ausklammern des Politischen? Freiräume im Sexuellen? Gemeinsame geplante Zeit?

„Vielleicht ist das so“, sagt Lehmann. „Wir könnten es uns anders nicht vorstellen. Aber mit Politik allein hat das nichts zu tun. Hätte Arndt zum Beispiel ein Kino und wäre ich etwa als Coach tätig, wir würden es genauso machen.“

Arndt Klocke drängelt. Er will nach Hause, „Lindenstraße“ gucken. Er steigt in ein Taxi und fährt Richtung Osten.

Sven Lehmann verabschiedet sich. Er nimmt ein Taxi Richtung Westen. Nach der „Lindenstraße“ werden sie telefonieren.

Paul Wrusch, 29, ist Chef vom Dienst für die taz und für taz.de. Sein Freund macht nichts mit Medien