MACHT
: Früchte der Revolution

Die ägyptische Bewegung jubelt nun denjenigen zu, die sich um Demokratie nicht scheren

Es gibt diesen wohlig-gruseligen Augenblick im Krimi, wenn man merkt, dass der nette Mann oder die liebe Frau ganz anders sind als man dachte. In der Realität gibt es diesen Augenblick auch, aber er ist nicht wohlig. Sondern nur gruselig. Selbst wenn es nicht um Mord geht, sondern um Politik. Die Folgen einer politischen Einschätzung sind ja oft nicht weniger bedrohlich als ein Verbrechen, selbst dann, wenn keine böse Absicht dahinter steckt.

Vermutlich gibt es keine andere politische Bewegung, die ich je so vorbehaltlos unterstützt habe, wie die Revolution gegen den ägyptischen Präsidenten Husni Mubarak vor gut zwei Jahren. Der Mut und die Beharrlichkeit, mit der sich friedliche Demonstranten einem Tyrannen entgegen stellten – das war Stoff für ein Heldenepos. Die Forderungen waren so sympathisch: Freie Wahlen, Schluss mit Korruption und Vetternwirtschaft, Garantie bürgerlicher Freiheitsrechte. Demokratie eben.

Was darauf folgte, war bitter. Herrschaft des Militärs, verschärfte Notstandsgesetze. Schließlich immerhin Wahlen, freie Wahlen sogar. Aber aus denen gingen Islamisten als Sieger hervor, und die waren mehr an einem religiösen Umbau der Gesellschaft als an Menschenrechten oder gar an demokratischen Verhältnissen interessiert. Die Wirtschaft stürzte ab. Erneut kam es zu Massenprotesten, erneut zu einer Machtübernahme des Militärs, und erneut soll es demnächst freie Wahlen geben.

Deren Ergebnis wird dann respektiert? Sicher?

Die Wut derer, die sich um die Früchte der Revolution betrogen sahen, ist nicht überraschend. Schließlich hatten sie ihr Leben für ihre Ziele riskiert. Sie fühlten sich zu Recht betrogen. Aber wie können sie jetzt denen zujubeln, die sich nachweislich um Demokratie nicht scheren? Der Firnis der Bereitschaft, abweichende Meinungen zuzulassen, ist auch bei den Vorkämpfern der Meinungsfreiheit erschütternd dünn.

Hier einige Zitate aus Facebook-Diskussionen der letzten Tage: „Das ist eine innere Angelegenheit.“ – „Scheiß auf Demokratie! Da hat jeder und jede seine eigene Definition!“ – „Wenn Obama das nicht passt, dann heißt das: wir sind ganz sicher auf dem richtigen Weg.“ Zur Schließung von Nachrichtensendern der Moslembrüder: „Wenn die abgeschaltet werden müssen, um einen Bürgerkrieg zu vermeiden, dann muss das halt so sein.“ Und schließlich: „Wer behauptet, dass das ein Putsch war, was in Ägypten passierte, ist entweder naiv oder bösartig.“

Nein, ich glaube: Ich bin weder naiv noch bösartig. Und dennoch nenne ich einen Putsch eben einen Putsch. Nicht alle ägyptischen Freunde haben emotional und – latent – nationalistisch reagiert. Aber doch bedrückend viele. Ja, man wird auf ihrer Seite stehen, wenn sie erneut verfolgt werden. Man wird sich – so weit möglich – für sie einsetzen. Aber auf welcher Grundlage? Wer deutlich gemacht hat, dass demokratische Prinzipien nur fallweise gelten sollen, kann sich nicht mehr auf die universale Gültigkeit von Menschenrechten berufen. Die New York Times hat geschrieben, es gebe in Ägypten zu viele Demokraten, die keine Liberalen seien. Und zu viele Liberale, die keine Demokraten seien. Offenbar stimmt das. Leider.

Das ägyptische Militär ist kein neutraler Makler, es kontrolliert die Wirtschaft. Vermutlich hat es den ägyptischen Präsidenten Mursi einfach deshalb gestürzt, weil die eigenen Pfründe in Gefahr waren. Die dramatische Folge: Künftig wird kein Islamist, der bei Verstand ist, noch an demokratische Prozesse glauben. Derlei Misstrauen begründet nicht unbedingt einen Bürgerkrieg, oft aber Terrorismus. Freunde, wisst Ihr, was Ihr tut?

Bettina Gaus ist politische Korrespondentin der taz