: Nachholbedarf bei Mord
Längst haben weibliche Ermittler den deutschen Fernseh-Krimi erobert. Nun ziehen die TV-Täterinnen nach – und morden auch gleich noch viel häufiger als im wahren Leben
VON CHRISTIANE HAUTAU
Showdown im Tatort „Märchenwald“ am vergangenen Sonntagabend: „Was haben Sie uns angetan?“ Voller Wut stößt Isabelle den ihr verhassten Werner Freden in den Abgrund. Maria Furtwängler alias Kommissarin Lindholm erwischt noch seine Hände, die Kraft schwindet und Freden stürzt in den Tod. Er ist nicht das einzige Opfer, Isabelle erschoss bereits den Handlanger des korrupten Waldbesitzers. Das Motiv der jungen Kellnerin: Rache – Freden hatte ihre Familie zerstört.
1975 resümierte der Münsteraner Professor Erich Küchenhoff in seiner berühmten „Küchenhoff-Studie“ über das mediale Bild der Frau: „Männer handeln, Frauen kommen vor.“ Drei Jahrzehnte später sieht es, zumindest bei den weiblichen Beamten, schon rosiger aus: Viele „handelnde“ Kommissarinnen wie „Bella Block“ oder „Rosa Roth“ ermitteln quer durch die Programme. Und immer öfter sind es nicht männliche, sondern gar weibliche Täter, auf die die Spürnasen stoßen. Haben also nicht nur Polizistinnen, sondern auch Mörderinnen inzwischen Hochkonjunktur?
Die Bremer „Tatort“-Kommissarin Sabine Postel alias Inga Lürsen glaubt, „so aus dem Bauch heraus“, dass sie in ihrer knapp neunjährigen Dienstzeit mehr männliche Täter dingfest gemacht hat: „Wobei es in den ‚Tatorten‘ prozentual gesehen sicherlich mehr Mörderinnen als im wirklichen Leben gibt“, räumt die Schauspielerin ein. Und was sagen andere Experten? Für Krimi-Autor und Detektiv-„Wilsberg“-Erfinder Jürgen Kehrer (49) sind die Fernsehgesetze das mögliche Motiv: „Solche Rollen werden gerne mit attraktiven Schauspielerinnen besetzt, weil die nicht nur bei Männern, sondern auch bei Frauen besser ankommen“, so der Münsteraner.
Das kann sich auch Sabine Postel vorstellen. Schließlich habe der „Tatort“ sehr viele weibliche Fans, „und die wollen nicht immer harte Männer, sondern auch mal ein paar Gleichgesinnte sehen“. Womit die Kommissarin zum Teil ins Schwarze trifft: Genau 56,5 Prozent Frauen machten 2005 den Zuschauerkuchen bei Deutschlands beliebtester Krimireihe aus.
Unterliegen die Täter also doch einer heimlichen Frauenquote? „Nein“, sagt die Kölner „Tatort“-Redakteurin Katja De Bock vom WDR. Ihren Erfahrungen nach werde weder gezählt noch abgesprochen, ob jetzt wieder eine Täterin oder ein Täter an der Reihe sei. „Letztlich ist der Stoff entscheidend. Wenn das Drehbuch eine gute Geschichte hergibt, ist es egal, ob der Täter männlich oder weiblich ist“, erklärt die 35-Jährige.
Doch selbst wenn eventuelle Häufungen an TV-Mörderinnen somit ungewollt oder purer Zufall sind, es bleibt der große Unterschied zur Wirklichkeit: Laut Statistischem Bundesamt saßen im Jahr 2004 lediglich 260 Frauen gegenüber 4.353 Männern wegen „Straftaten gegen das Leben“ ein. Insgesamt sind also nur knapp 6 Prozent aller wegen Mordes oder Totschlag Inhaftierten weiblich.
Dennoch werden bis heute weibliche Killer in den Medien wesentlich mehr beachtet als ihre männlichen Pendants. Weil Frauen noch immer als Opfer und „schöne Leichen“ die Köpfe beherrschen, lösen Morde von Frauenhand wohl einen ganz besonderen Grusel aus. So machte die 2003 verstorbene Giftmörderin Elfriede Blauensteiner wochenlang in den europäischen Gazetten Schlagzeilen als „Weibsteufel“, „Schwarze Witwe von Wien“ oder „Gift-Witwe“. Frauen und Gift – für Autor Jürgen Kehrer eine einschlägige Verbindung, und das nicht nur wegen des Komödienklassikers „Arsen und Spitzenhäubchen“. „Da Männer den Frauen körperlich überlegen sind, können Frauen kaum mit bloßer Gewalt töten, sie müssen da schon geschickter vorgehen“, so der Schreiber.
Morden Frauen also nur nach Plan? Beispiel „Märchenwald“: Isabelle tat beides, sowohl geplant als auch im Affekt. Inzwischen ist es dem Weiblichen in der medialen Darstellung also auch gestattet, einfach durchzudrehen. Und, nebenbei erwähnt: Im wirklichen Leben sitzen von den 260 inhaftierten Frauen immerhin mehr als ein Drittel nicht wegen Mordes z. B. wegen niederer Beweggründe oder Heimtücke ein, sondern wegen Totschlags – der häufig im Affekt passiert. Bei den Männern ist das Verhältnis ähnlich.
Summa summarum: Frauen im Fernsehen dürfen heute nicht nur ermitteln, sie dürfen auch vielfältig böse sein – ein Fortschritt, der auch Sabine Postel gefällt: „Lange Jahrzehnte war der Krimi ja wirklich ’ne Männerdomäne, sowohl von den Ermittlern als auch von den Tätern her. Das hat sich erst so in den letzten zehn, fünfzehn Jahren geändert, was ich sehr begrüße, außerdem haben wir auch eine Menge Nachholbedarf.“
Ob Mann oder Frau in ihrem neuen „Tatort“ mit dem Arbeitstitel „Stille Tage“ der- oder diejenige ist, will sie allerdings nicht verraten: „Ja, da spielen auch einige Frauen mit, die verdächtig sind. Ich darf’s ja nicht sagen, vielleicht sind die es ja.“