Das unsichtbare Hotel am See

Die Nkwichi Lodge am Malawisee lässt die Natur so, wie sie ist. Diese Tropen Zentralafrikas sind lieblich. Die Bäume sind nicht besonders hoch, die Blätter nicht besonders dicht. Das Klima ist ruhig, Wasser gibt’s reichlich, genau wie Sonne, Pflanzen, Fisch

Wir wollen nicht nur helfen, wir wollen auch ein sehr gutes Hotel sein“, sagt David,der Manager

Von THOMAS IWAINSKY

Mitten in Afrika, dort wo sie den Malawisee Niassa nennen, schlängelt sich ein kleiner Pfad durch Maniokfelder und Urwald. Er ist schon immer da. Seit Jahrhunderten verbindet er die winzigen Siedlungen der Fischer mit den etwas größeren Orten am See, in denen es einen Laden oder Markt gibt. Dort, wo es immer schon egal war, wer wen wann und wo regiert, im äußersten Norden des heutigen Mosambik, vier Tagesreisen von dem entfernt, was jetzt Grenze zu Tansania ist, trifft er die Gegend der Nyanji. Hier läuft Barnabé den Pfad entlang in die Dämmerung hinein. Immer nach Süden, am Ufer des Sees entlang. Von seinen uralten, doch scheinbar magischen Badelatschen getragen, wird er die zwei Stunden bis Mbueca in wenigen Momenten schaffen. Barnabé ist heute schon dreieinhalb Stunden in die andere Richtung gelaufen. Er hat zwei Touristen den Pfad gezeigt, ihnen den zweitausend Jahre alten Baobab-Baum erklärt, die neue Schule in Mala präsentiert und die neue Maismühle. Barnabé arbeitet als Kellner. In der Nkwichi Lodge, dem unsichtbaren Hotel.

Sechs Chalets liegen hier zwischen Urwald, Strand und diesen merkwürdigen Felsen, die schräg aus dem Sand wachsen. Die Landschaft ist so ruhig, dass wer sie zum ersten Mal betritt, meint, sie könne nicht echt sein. „Wenn wir hier irgendwann aufhören sollten, wollen wir keine Spuren hinterlassen“, sagt David, Manager der Nkwichi Lodge. „Wir versuchen, so wenig wie möglich in die Natur einzugreifen.“ Und man sieht das Hotel wirklich nicht. Alle sechs Chalets sind aus lokalen Baustoffen: Holz, Bambus, Schilf, Blätter, Fels. Barnabé, Jackson, Arendique und die 32 anderen ausschließlich einheimischen Angestellten brachten all das den kleinen Pfad entlang in die Bucht der Lodge, die sie seit je Nkwichi nennen.

Sie bauten einen kleinen Landungssteg zwischen die Felsen, dort wo gleich am ersten Tag etwas die Touristen erschreckt, das wie ein Krokodil aussieht, aber eine Eidechse ist. Barnabé und die anderen haben alle Chalets nach einheimischen Tieren in ihrer Sprache benannt. Nur eins heißt Scotland. Es soll an einen ausländischen Helfer erinnern.

Jedes Chalet ist anders, das letzte, sie nannten es Chimulimuli (Glühwürmchen), ist schon recht weit im Urwald. Es hat ein ganz besonderes Bad, ein paar Schritte entfernt. Nach vorn begrenzt es eine Bambuswand, nach hinten ist es offen. Die Badewanne haben sie in einen kleinen Felsen geschlagen. Wenn man sich hineinlegt, kann man ein Vollbad im Urwald nehmen, den Vögeln zuhören, mit etwas Glück einen Makakenaffen beobachten und mit etwas Pech eine Schlange. „Aber die macht nichts, die schleicht sich davon“, beruhigen die Angestellten. Die Dusche haben Barnabé und seine Kollegen so konstruiert, dass das Wasser aus einem Baum regnet. Und es ist warm, denn jede Nacht steckt einer seiner Kollegen ein Feuer an, unter dem Tank, auf dem Hügel hinter Chimulimuli.

Das Hotel lässt alles so, wie es hier schon immer war. Denn der Mensch kann hier nichts verbessern. Dies sind zwar die Tropen Zentralafrikas, aber sie sind anders als in der ängstlichen Vorstellung der Europäer. Die Wälder kleben und schwitzen nicht, sie speien auch nicht pausenlos Krankheiten. Diese Tropen sind lieblich, geradezu sanft. Die Bäume sind nicht besonders hoch, die Blätter nicht besonders dicht. Das Klima ist ruhig, das Wasser reichlich, genau wie Sonne, Pflanzen, Fisch. Man fühlt, warum hier seit Jahrtausenden schon Menschen leben.

Und immer schon gab es den kleinen Pfad am Ufer des Sees, über den die Geschichte läuft: Das Königreich Maravi, das dem See wohl seinen Namen gab, zerfiel im 16. Jahrhundert. Die leicht zu fangenden Sklaven wurden von Yao und Arabern bis in die Häfen Ostafrikas getrieben. Europäische Entdecker hörten von dem mysteriösen See im Herzen Afrikas, fanden ihn jedoch erst vor gut 150 Jahren. Bekannt wurde er durch David Livingstone, der 1859 an seinem Ufer ankam. Von ihm angeregt, bauten schottische Missionare die zweitgrößte Kathedrale Afrikas hier, auf die Insel Likoma, eine Stunde vom Ufer entfernt. Befreiungskämpfer rannten über den Pfad und bekriegten sich später untereinander. Die Renamo bekämpfte die Regierung des neu gegründeten Mosambik und die Bevölkerung floh. Wieder den Pfad entlang, Richtung Tansania oder bis Cobué und von dort hinüber nach Malawi. „Es lebe der Marxismus-Leninismus“ hat jemand an eine Wand gemalt.

Als er nicht mehr lebte, kamen sie zurück, bauten die Dörfer wieder auf und legten die Felder neu an. Jetzt spielen hier Kinder, arbeiten Frauen auf kleinen Feldern und Männer palavern im Schatten. Vincent, Vizechef der Dorfes Mala, hat sich einen kleinen Laden eingerichtet. Ein Radio plärrt aus der Lehmhütte. Sein größter Traum: „Das Geschäft soll weiter so laufen.“ Das Bier kommt von Süden über den Pfad, sein Sohn von Norden aus der neuen Schule.

Die Nkwichi Lodge ist Teil des „Manda Wilderness Project“. Die Organisation und die Grenzen zwischen Projekt und Hotel sind etwas konfus. Doch man glaubt David, dem Hotelmanager, wenn er in seiner einfachen Bambushütte im Urwald sitzt und sagt: „Wir versuchen einen verantwortungsvollen Tourismus. Wir wollen helfen. Aber wir sind keine NGO, die hier eine Million Dollar auskippt.“ Doch immerhin haben sie mehrere Schulen gebaut, Brunnen, eine Maismühle und eine Klinik in Cobué. „Jeder hat etwas davon. Wir wollen nicht nur helfen, wir wollen auch ein sehr gutes Hotel sein“, sagt David. „Vielleicht irgendwann mal mit sechs Sternen.“

Mchenga Nkwichi Lodge, Part of „Manda Wilderness Project“, C.P. 123 Lichinga, Lake Niassa, Mosambik, Mdw01@bushmail.net