Eine Wolke macht keinen Herbst

HINTERGRUND Deutschland ist in doppeltem Sinne durch mit der Solarenergie. Das Ende der Förderung ist in Sicht, und die Industrie offenbar pleite. Schlechte Zukunftsperspektiven? Es gibt da wie immer eine zweite Sicht

Es geht ein Riss durchs Land, unter Politikern, unter Experten. Die Spaltung in der Frage der Atomkraft hat sich auf die Solarenergie übertragen

VON INGO ARZT

Peter Altmaier verschränkte die Arme und sprach, es sei ein guter Tag für die Energiewende. Das macht er in letzter Zeit häufiger, wenn er vor die Presse tritt, so auch diese Woche. Die gute Nachricht bestand für den Bundesumweltminister (CDU) darin, dass in diesem Jahr in Deutschland aller Voraussicht nach nur noch halb so viele Solaranlagen auf Dächer und Felder geschraubt werden wie jeweils in den vergangenen drei Jahren. Genau das, was Bundeswirtschaftsminister Philipp Rösler (FDP) und Altmaier wollten. Um den von ihnen diagnostizierten Wildwuchs einzudämmen, hatten sie 2012 die Förderung zusätzlich gekürzt und eine monatliche Degression eingeführt. Solarenergie als Plage.

Und dann verkündete Altmaier etwas schon fast Historisches: Die Kosten der Solarenergie steigen kaum noch. 7,4 Milliarden Euro zahlten die Stromkunden über die EEG-Umlage für den Sonnenstrom im vergangenen Jahr. 2013 werden es 300 Millionen mehr. Zwar sollen noch bis zu 20 Gigawatt Leistung zusätzlich gefördert werden (heute sind es 34), doch verzichten ohnehin immer mehr Anlagenbetreiber auf die staatliche Unterstützung. Es ist billiger, den Strom selbst zu verbrauchen, statt ihn ins Netz einzuspeisen. Kurzum: Die Solarenergie hat ihr Fördermaximum erreicht. Die Deutschen zahlen zwar weiterhin Milliarden, weil jede Anlage 20 Jahre vergütet wird, es wird aber kaum mehr. Das Kapitel ist durch. Zum ersten Mal spricht es nun auch ein Minister aus.

Dazu gehört aber auch: Mit Conergy hat der vorletzte eigenständige deutsche Solarmodulhersteller Insolvenz angemeldet. Bosch und Siemens haben ihre Solarsparten aufgegeben. Es gibt noch Q-Cells, es gehört mittlerweile, stark geschrumpft, dem südkoreanischen Konzern Hanwha. Außerdem ringt die hoch defizitäre Solarworld mit ihren Gläubigern um einen Schuldenschnitt. Unter den 15 weltweit größten Herstellern von Solarmodulen findet sich kein einziges deutsches Unternehmen mehr. Der deutsche Weltmarktanteil lag 2007 noch bei 20 Prozent. Nun ist China so stark.

Wegen der Pleitewelle sank die Zahl der Arbeitsplätze in der Branche in Deutschland von 110.900 im Jahr 2011 auf 87.000 ein Jahr später, schätzt die Bundesregierung. Und ausgerechnet jetzt, wo Solarmodule endlich billig sind, lösen die Chinesen, die USA, selbst die Japaner die Deutschen beim Zubau neuer Solaranlagen ab. Wir stecken Geld rein, bis es billig genug ist, dann kauft es der Rest der Welt. Thank you for fördering. Das also sollen gute Tage für die Energiewende sein?

Um die Frage zu beantworten muss man wissen: Es geht ein Riss durchs Land, unter Politikern, unter Experten. Ein Teil der Spaltung, die der Kampf um die Atomenergie verursacht hat, hat sich auf die Solarenergie übertragen. Den einen galt sie als echte Alternative zum Atomstrom, den anderen als grüne Spinnerei. Nun wollen die einen nicht glauben, dass die Technik tatsächlich jenseits aller ökologischen Argumente einfach nur marktreif wird. Und die anderen nicht wahrhaben, dass nicht jede Fördermilliarde industriepolitisch sinnvoll war. Es geht um Lebenswahrheiten und Lebenslügen.

Das sind karikierte Extreme, dazwischen tummeln sich die Pragmatiker. Die von der taz befragten Experten sollen hier nicht in ein derartiges Schema gepresst werden. Trotzdem interpretieren sie die Bilanz der Photovoltaikförderung komplett konträr: „Der mit einem dreistelligen Milliardenbetrag entfachte Beschäftigungsboom in der Branche war, wie sich nun herausstellt, nur ein Strohfeuer“, sagt Manuel Frondel vom Rheinisch-Westfälischen Institut für Wirtschaftsforschung (RWI). „Der Ansatz der deutschen Politik, in einem wettbewerblichen Weltmarkt durch staatlich festgelegte Preise für Solarstrom neue Industrielandschaften aufbauen zu wollen, war von Anfang an fragwürdig und ist gescheitert“, sagt Dietmar Lindenberger vom Energiewirtschaftlichen Institut der Uni Köln (EWI). Beide Institute erstellen oft Studien für große Energiekonzerne und Industrieverbände.

Der Chef des Fraunhofer-Instituts für Solare Energiesysteme (ISE), Eicke Weber, sowie Claudia Kemfert vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW), halten dagegen. Die beiden verweisen darauf, dass der Markt global seit Jahren steil wächst. Es herrscht aber weltweite Überproduktion – weil zu viele Hersteller ihre Chance witterten. Und sie beziehen sich auf die deutsche Zulieferindustrie für Solaranlagen, die zwar auch darbt, aber auf einen Weltmarktanteil von über 50 Prozent kommt. „Dass es zu einem Schrumpfungsprozess kommen musste, war klar. Ich warne davor, jetzt die ganze Branche niederzuschreiben. Die krankt auf der ganzen Welt, das ist nicht nur ein deutsches Phänomen“, sagt Kemfert. „Wir sind weltweiter Technologieführer und haben die Photovoltaik-Ausrüster in Deutschland“, sagt Weber. Beide erstellen oft Studien für die Branche der erneuerbaren Energien.

Für Frondel und Lindenberger ist die bisherige Solarförderung ein abschreckendes Beispiel: „Es sollten künftig nur noch Pilotprojekte gefördert werden, die Massenproduktion muss hingegen im Wettbewerb erfolgen“, auch wenn sich die Energiewende dann deutlich verlangsame, sagt Frondel. „Die kleinteilige Einzelförderung für Erneuerbare sollte zurückgefahren werden. Die Politik muss sich auf den großen ordnungspolitischen Rahmen beschränken“, fordert Lindenberger.

Kemfert geht davon aus, dass sich die deutsche Solarindustrie wieder berappelt. Sie fordert, die Einführung von Systemen, die das Netz stabilisieren oder Strom zwischenspeichern, weiter zu fördern. „Solche Technologien setzen sich nur durch eine Steuerung des Marktes durch“, sagt sie. „Es ist unbedingt erforderlich, bei der zu erwartenden Wiederaufrüstung der Photovoltaikindustrie 2014–2015 am Ball zu bleiben“, glaubt Weber.

Was das für den weiteren Gang der Energiewende bedeutet: Die Denkmuster werden sich wiederholen – die einen priorisieren den Markt, der ökologische Vor- und Nachteile schon irgendwann einpreisen wird. Die anderen sehen erneuerbare Energien als höheres Ziel, das jede Förderung legitimiert. Und Altmaier, der sich der Argumente beider Lager bedient, wird weiter jede Woche einen guten Tag für die Energiewende ausrufen.