Kulturgut Vielfalt

ORTSTERMIN Verleger diskutieren: Wie verändert freier Handel, nicht nur der geplante mit den USA, die Branche?

AUS BERLIN SONJA VOGEL

Noch vor dem Gesundheitswesen geht der Buchhandel, den dank Amazon sowieso niemand mehr braucht, in die Brüche.“ So polemisierte Martin Lüdke am Donnerstagabend im Literarischen Colloquium Berlin (LCB). Worauf der Literaturkritiker damit anspielte: Der Buchhandel steht hierzulande nicht nur wegen der Digitalisierung unter Druck, auch die Buchpreisbindung ist im 125. Jahr ihres Bestehens mal wieder in Gefahr.

Verlage sind dadurch per Gesetz verpflichtet, einen Verkaufspreis festzusetzen, der dann für alle Verkäufer verbindlich ist, egal ob kleine Läden oder große Onlineanbieter. Das Buch soll nicht zur Ramschware verkommen, ist die dahinter stehende Logik, doch diese Einstellung zu gedrucktem Kulturgut findet man nur noch in wenigen Ländern Europas. Viele befürchten, dass sie bei den Freihandelsgesprächen mit den USA, die in dieser Woche begonnen haben, wieder in die Diskussion gerät. Wegen der Preisbindung gilt gerade Deutschland als Eldorado des Buches. Es gibt kein anderes Land mit einer ähnlich großen Zahl von Buchhandlungen und Verlagen.

Unter dem Titel „Ach zum Teufel mit den Bilanzen! Verleger im Gespräch“ sprach Lüdke mit Helge Malchow (Kiepenheuer & Witsch) und Jörg Sundermeier (Verbrecher Verlag). Das LCB hatte die Gesprächsreihe aus den Neunzigern wiederbelebt, um auszuloten, ob die Vielfalt der Buchkultur tatsächlich gefährdet ist.

Man hätte kaum unterschiedlichere Verlegerpersönlichkeiten auswählen können: Auf der einen Seite Malchow, der nach dem Volontariat im Traditionshaus Kiepenheuer & Witsch zum Lektor und schließlich zum Verleger von Heinrich Böll und Don DeLillo aufgestiegen ist. Jörg Sundermeier, der seinen Berliner Kleinverlag einst als studentischen Scherz gegründet hatte und nun eine „Raritätensammlung“ (Lüdke) von den Tagebüchern Erich Mühsams bis zur Gisela-Elsner-Werkausgabe verlegt, auf der anderen.

Die Branche ist aus dem Lot

Über die ökonomischen Grundlagen ihrer Arbeit machen sich beide keine Illusionen. Was zählt, sei die Mischung aus einem finanziell wenig lohnenswerten, ambitionierten Programm und gut Verkäuflichem. Von Hanser bis Suhrkamp setzen Verlage inzwischen auf Mischkalkulation: „Die muss die einen Bücher finanzieren, indem sie andere gut verkauft“, erklärte Malchow.

In ganz großen Häusern wie Bertelsmann allerdings wird anders gerechnet, dort muss sich jedes Buch auszahlen. Ähnlich wie bei den Kleinen, die keine finanziellen Puffer haben. „Wir können uns die Mischkalkulation nicht leisten“, sagte Sundermeier.

Der Befürchtung, dass der Mix aus dem Lot geraten ist, teilte Helge Malchow nicht. Er beobachtet stattdessen eine Orientierung auf das Wesentliche, ein Kernprogramm und auf hochwertig und schön gefertigte Bücher. Dies sei aus ökonomischen Gründen notwendig geworden. Das E-Book bedient inzwischen mehr und mehr den Massenmarkt, von der gedruckten Ware versprechen sich die Verlage Erfolge vor allem bei einem exklusiven Publikum. Und noch zählt das E-Book als Buch und ist darum preisgebunden. Doch auch das könnte sich bald ändern.

In der FAZ hatte Helge Malchow in dieser Woche davor gewarnt, die Preisbindung zur Debatte zu stellen. Anlass war das Transatlantische Handelsabkommen zwischen der EU und den USA, über das zurzeit verhandelt wird. In einer Freihandelszone wären festgelegte Buchpreise ebenso wie Zölle nichts weiter als „außertarifliche Handelshemmnisse“. Sie würden fallen. Frankreich, das die Buchpreisbindung nach einem kurzen Intermezzo wieder eingeführt hat und auf den grenzüberschreitenden Handel mit E-Books ausweiten will, fordert, den Kulturbereich aus den Verhandlungen auszusparen. Auch 15 europäische Kulturministerien baten die EU-Kommission darum. Die Bundesregierung indes schweigt.

Fiele die Preisbindung im elektronischen Bereich, hätte dies weitreichende Folgen: Großhändler würden die kleinen Händler verdrängen, da sie durch Rabattabsprachen, niedrige Lagerkosten und große Umsätze den niedrigsten Preis bieten können.

Rabatte für Großhändler

Eine Katastrophe für das gedruckte Buch. Einen Vorgeschmack auf womöglich kommende Verhältnisse erhält man heute schon in Großbritannien. Dort fiel die Preisbindung vor 15 Jahren. Viele Buchhandlungen verschwanden in der Folge, übrig blieben Großhändler, spezialisiert auf Bestseller. Rund 90 Prozent der E-Books verkauft Amazon. „Monopolökonomie“ nannte das Malchow.

In Deutschland ist die Preisbindung bereits ausgehöhlt. „Am Anfang haben wir alle auf die großen Player gesetzt“, gab Jörg Sundermeier zu. Viele Verlage nämlich überlassen den Marktmächtigsten ihre Bücher günstiger als den kleinen Buchhandlungen. Von Amazon heißt es beispielsweise, das Unternehmen ließe sich längst mehr als den gesetzlich auf höchstens 50 Prozent festgelegten Rabatt einräumen. Dieses interne Preisdumping lässt die Buchpreisbindung wackeln. Denn wenn die Branche, die davon profitiert, es nicht so genau nimmt, warum sollte die EU-Kommission das Gesetz gegen ihre Interessen verteidigen?

Ein Umdenken setzt erst langsam ein. Die Buchpreisbindung nämlich schafft einen kulturellen Freiraum, für den zu kämpfen sich lohnt. Bleibt zu hoffen, dass dies auch die EU begreift – rückgängig machen kann man einen krassen Einschnitt in den Buchmarkt nicht.