Antisemitismusverdacht erregt Frankreich

Nach dem Foltertod des Juden Ilan Halimi formiert sich Protest. Am Sonntag wird demonstriert

PARIS taz ■ Frankreichs politische Elite war am Donnerstagabend in einer Pariser Synagoge. Gemeinsam mit Angehörigen des brutal zu Tode gefolterten Ilan Halimi nahmen sie am Kaddisch, dem jüdischen Totengebet, teil. „Es wird ein Vor- und ein Nach-Ilan geben“, sagte Großrabbiner Joseph Sitruk und appellierte an alle, aufzustehen und zu zeigen, dass „Frankreich seine Seele nicht verloren hat und das Land der Aufklärung bleibt“. Am Sonntag werden zahlreiche TeilnehmerInnen des Kaddisch auf der Straße gegen Antisemitismus demonstrieren.

Der 23-jährige Telefonverkäufer Ilan Halimi war am 13. Februar nackt, gefesselt, geknebelt und mit Folterspuren neben Bahngleisen im Süden von Paris gefunden worden und starb kurz danach an seinen Verletzungen. Drei Wochen lang war er Gefangener einer jugendlichen Vorstadtbande gewesen, die sich „Gang der Barbaren“ nannte. Die ersten Verhöre ergaben Geldgier und Barbarei als Tatmotive.

Ausschlaggebend für die Auswahl des Opfers könnte, so lassen Aussagen einiger Verhafteten vermuten, seine jüdische Religionszugehörigkeit sein. Als Begründung soll unter anderem ein uraltes Klischee genannt worden sein: „Juden haben Geld.“ Am Montag erweiterte die Untersuchungsrichterin ihren Haftbefehl auf den erschwerenden Tatverdacht des antisemitischen Motivs. Der Verdacht reichte, um das politische Frankreich in Aufruhr zu versetzen.

Bislang leben Muslime und Juden in Frankreich in relativer Eintracht miteinander, oft in denselben Vorstädten, denn in vielen Fällen sind ihre Vorfahren alle aus Nordafrika eingewandert. Die französische Justiz hat mehr als ein Dutzend Tatverdächtige im Großraum Paris und in Marseille verhaftet. Der mutmaßliche Bandenchef Youssef Fofana floh zunächst in die Elfenbeinküste und wurde dort am Donnerstag verhaftet. Bei ersten Verhören nannte er „Geld“ als Motiv für die Entführung und bestritt Antisemitismus.

Jüdische Organisationen fordern nun Staatspräsident Jacques Chirac auf, am Sonntag mitzudemonstrieren. Verschiedene Regierungsmitglieder, darunter Innenminister Nicolas Sarkozy, haben bereits ihre Teilnahme angekündigt. Mehrere linke Parteien und Menschenrechtsgruppen sind sich noch unsicher. Denn sie wollen nicht zusammen mit der rechtsextremen Front National demonstrieren und nicht auf einen Verdacht reagieren, für den es bislang nur Hinweise, aber keine Beweise gibt. DOROTHEA HAHN