Im Dorf des gejagten Exgenerals

In Ratko Mladić’ Heimatdorf redet niemand gern über die Vergangenheit. Seine Verwandten halten den Exgeneral für unschuldig – „es war Krieg“. Und niemand glaubt, dass Mladić sich freiwillig stellen und nach Den Haag ausliefern lassen wird

„So ein Blödsinn. Ratko wird sich nicht ergeben.“ Dusko Mladić, Cousin

AUS BOZINOVICI ERICH RATHFELDER

Vom Tauwetter aufgeweicht ist der ungeteerte Feldweg nach Bozinovici, dem Heimatdorf von Ratko Mladić. Mit dem Auto ist es jetzt nicht möglich, durchzukommen. Tauwasser verwandelt die Straße in einen Bach. Ein Traktor ist im Schlamm steckengeblieben. Zwei Männer versuchen vergeblich, ihn wieder flott zu bekommen.

Zdravko, ein Mittvierziger mit Vollbart, ist zwar dankbar über die angebotene Hilfe. Wo das Geburtshaus des vom UN-Tribunal in Den Haag wegen Kriegsverbrechen 1992 bis 1995 angeklagten Exgenerals liegt, will er aber nicht verraten. Und auch nicht, dass er selbst ein Verwandter des Gesuchten ist. Die Menschen hier in dem Tal von Kalinovik wollen nicht gern mit Besuchern sprechen. Journalisten sind ihnen ein rotes Tuch. Die ständige Fragerei nach Ratko Mladić nervt. Man hat ja schließlich andere Sorgen.

Seit in der vielleicht noch 4.000 Seelen zählenden Gemeinde Kalinovik nach dem Krieg die serbische Armee abgezogen wurde, ist der größte Arbeitgeber verschwunden. In dem am Eingang des Tales liegenden Sägewerk sind nur noch 30 Männer beschäftigt, früher waren es einmal 500. Es gibt keine Arbeit mehr. Die Jugend flieht in die Städte. Die Häuser sind schäbig, die Autos alt. Manche Fenster sind nur notdürftig mit Plastikplanen bestückt, um wieder Glas einzusetzen fehlt das Geld.

Die ersten Häuser des Dorfes Bozinovici schälen sich schließlich aus dem Nebel. Doch keine Menschenseele ist zu sehen. Die Türen sind zugesperrt. Niemand antwortet auf das Klopfen. Schließlich lässt sich doch ein Mann in der Uniform der Miliz ansprechen. Nach der Frage, wo man den selbst gebrannten Obstschnaps kaufen könnte, wird er freundlich. Und begleitet die Journalisten zu einem Haus.

Die Flasche macht die Runde. Der bärtige Zdravko ist hinzugekommen. Schließlich gibt Dusko Mladi„ zu, dass er der Cousin des Gesuchten ist und Zdravko ein weiterer Verwandter. Ratko Mladić sei ein ehrlicher Mann, sei niemals korrupt gewesen. Der Endfünfziger deutet auf das gegenüberliegende, von Bäumen umgebene Häuschen. „Das ist sein Geburtshaus. Hier wuchs er auf. Nichts hat sich verändert.“

Der Vater Ratkos sei 1945 von den kroatischen Ustaschen umgebracht worden. „Mein Vater war damals im Zweiten Weltkrieg königstreuer Tschetnik, sein Vater kommunistischer Partisan.“ Jetzt sei Ratko Tschetnik, und er, Dusko, ein Partisan, witzelt er und lacht. Im Herbst diesen Jahres werde Ratko als freier Mann in sein Dorf zurückkehren, sagt Dusko überzeugt. Niemals werde er sich freiwillig dem Tribunal in Den Haag stellen. „Die Amerikaner haben die Serben zu Hauptfeinden gemacht und ihnen alle Schuld am Krieg gegeben. Dabei haben in diesem Krieg alle gegeneinander gekämpft. Ratko hat keine Verbrechen begangen.“ Und Srebrenica? „Das war Krieg.“

Dusko und Zdravko leben vom Holz. Sie schlagen die Bäume oben im Gebirgsmassiv. Nebenbei betreiben sie noch eine kleine Landwirtschaft. Wie alle Leute hier. Die Familien haben ein paar Kühe und dazu noch Schafe. Die ersten Lämmer springen auf dem Schnee herum.

Unterhalb des Dörfchens liegen die Häuser der ehemaligen muslimischen Nachbarn. Die Moschee dort ist zerstört. Und niemand zu sehen. Ratko Mladić ging damals, zu Beginn des Krieges, im April 1992 hinunter und beruhigte die Menschen dort. „Ihr könnt hier bleiben, ihr steht unter meinem persönlichen Schutz.“ Im Juni kamen serbische Freischärler. Die Frauen wurden in das Schulhaus von Kalinovik gebracht, viele vergewaltigt, die Männer in ein altes Magazin aus österreichisch-ungarischer Zeit. Und dort erschossen. 120 Tote gab es. Ratko Mladić hat sein Versprechen nicht gehalten.

Die beiden Verwandten drucksen herum. Die Nachbarn lebten jetzt in Sarajevo, sagen sie. Oberhalb des Hauses sind alte muslimische Grabsteine zu sehen. „Die stammen von den Griechen,“ sagt Dusko und wechselt das Thema. Am Ende des Tales entspringt die Neretva, der Fluß, der nach Mostar führt. Dort ist wilde, unberührte Natur, wie geschaffen für den Tourismus.

Wird die Familie bald reich, Ratko Mladić soll doch um Geld für die Familie und Freunde verhandeln? Dusko lacht. „So ein Blödsinn. Davon weiß ich nichts. Ratko wird sich nicht ergeben.“