Bärchen, Kätzchen, rote Rosen

DOKU Typologie des Zuckersüßen: „Lieben Sie Kitsch?“ (21.45 Uhr, Arte)

Kitsch – im Etymologischen Wörterbuch der deutschen Sprache findet sich dazu folgender Eintrag: „Um 1870 in Malerkreisen aufgekommen. Herkunft unklar. Vielleicht Anschluß an kitschen, ‚Straßenschlamm zusammenscharren, glattstreichen‘. Ausgangsbedeutung wäre also ,Geschmier‘.“ Der Kitsch ist demnach von nebulöser und vermutlich wenig nobler Abstammung. Und ausgerechnet dieser unedle, schmutztriefende Terminus hat es als Fremdwort in viele andere Sprachen geschafft, etwa ins Englische, Französische, Spanische: the kitsch, le kitsch, el kitsch. Was sagt uns das nur wieder über das Bild der Deutschen im Ausland? Oder müssen wir uns gar nicht schämen, weil der Kitsch seine negative Konnotation längst umgekehrt hat? Was genau ist eigentlich Kitsch heute?

Der letztgenannten Frage geht die Soziologin Tink Diaz bei Arte auf den Grund – bei dem Kultursender also, den wir dafür hochschätzen, dass er uns mit Volksmusikhitparaden, Pilcher-Adaptionen, Mannequin-Castings und anderen Kitschprogrammen verschont. Von Wien über Lourdes und Las Vegas in den Vorgarten, alle Wege führen zum Kitsch. Typologisch lassen sich, lernen wir in dem unterhaltsamen Film, der niedlich-süße, der romantische, der religiöse und der Weihnachtskitsch unterscheiden und vom Trash abgrenzen. Dem Kitsch Verfallene, wie „Miss Weltfrieden“ oder die Engelchen sammelnde Rentnerin, kommen ebenso zu Wort wie die Vertreter der akademischen Zunft. („So könnte man sagen, dass die Moral in gewisser Weise die Hefe im Brotteig des Kitsches ist.“) Es geht um rote Rosen, Helmut Lotti, Schneekugeln und Madonnen (mit und ohne Vagina), um Häschen, Bärchen und Kätzchen. Eine nicht zu bestreitende Gewissheit formuliert schließlich der Fotograf Thai Cong: „Um Kitsch zu verstehen, muss man sehr guten Geschmack haben.“

JENS MÜLLER