Schluss mit giftig

Europas größte Schlangenfarm steht im Harz: 26 Jahre hat Jürgen Hergert dort Reptilien gemolken – denn die Toxine sind in der Medizin begehrt. Aber er will nicht mehr täglich sein Leben riskieren

von Ewelina Benbenek

26 Jahre hat Jürgen Hergert sein Geld mit Giftschlangen verdient, jetzt will er seine Schlangenfarm im Harz – nach eigenen Angaben die größte Europas – aufgeben. „Ich möchte mein Leben nicht mehr täglich aufs Spiel setzen“, sagt Hergert. Er fühle sich mit 62 Jahren nicht mehr fit genug für den gefährlichen Job.

1.000 Schlangen verschiedener Arten – darunter Kobras, Mambas und Klapperschlangen – leben auf seiner Farm in Schladen bei Salzgitter. Hergert entnimmt ihnen die Gifte, um sie an Pharmaunternehmen und homöopathische Praxen zu verkaufen, die wiederum Antiseren und andere Medikamente aus ihnen gewinnen. Chronische Krankheiten wie Rheuma und Asthma werden damit behandelt.

Um an das Gift zu kommen, braucht es einen professionellen Schlangenmelker. Ein gefährlicher Job, der „höchste Konzentration erfordert“, wie Hergert sagt. Die Schlangen werden in den Sommermonaten per Hand gemolken. Hergert und seine drei Mitarbeiter müssen die hochgiftigen Tiere dabei hinter dem Kopf festhalten und von außen die Giftdrüsen massieren, während diese in ein Auffanggefäß beißen. Dabei geben die Reptilien ein Drittel ihrer Giftreserven ab. Ein Fehler kann tödliche Folgen haben, bei einigen Arten führt ein Biss innerhalb von drei Minuten zur Lähmung der Atemwege. Hergert selbst wurde vor vier Jahren von einer Schwarzen Mamba gebissen, ein Vorfall, von dem er sich nach eigenen Angaben nie wieder richtig erholt hat.

Jetzt sucht Hergert einen Nachfolger, der seine Farm zum Ende des Jahres übernehmen will und bereit ist, von ihm das Schlangenmelken zu lernen. „Ich kann nur einen Mann gebrauchen, der schon langjährige Erfahrung mit hochgiftigen Tieren hat“, sagt Hergert, der in Namibia geboren und aufgewachsen ist.

Sein Handwerk hat er auf einer Farm in Südafrika erlernt, 1974 zog er in den Harz, wo seine Mutter lebte. Damals habe es in Europa kaum jemand gegeben, der professionell Schlangen zur Giftproduktion züchtete, erzählt Hergert.

Dass er mittlerweile nicht mehr der einzige in Norddeutschland ist, erfährt er im Gespräch: Vielleicht wird Hergert dem Pharmaunternehmen Nordmark seine Schlangen anbieten. Denn der Arzneimittelkonzern plant, in Uetersen eine Anlage für 1.500 malaysische Grubenottern aufzubauen. Mit einem Medikament, das auf deren Serum basiert, sollen Schlaganfallpatienten behandelt werden (siehe Kasten). Im Sommer will Nordmark einen Experten nach Asien schicken, der dort Schlangen für die Weiterzucht fangen soll.