berliner szenen Der lesende Uslar

Hallo beim Arschmonster

Moritz von Uslar liest im Roten Salon. Im Publikum viele Schalträger jenseits der vierzig, dazu bekannte Gesichter: Rainald Goetz, Maxim Biller, Matthias Matussek. Der Spiegel-Kulturchef – rosa Krawatte, rote Hosenträger – herzt, umarmt, reckt Daumen in die Höhe: „Ich dachte immer, Neukölln sei die South Bronx.“ Wahnsinn! Aus den Boxen dröhnt Public Enemy. Wann geht’s endlich los?

Ein Verlagsmensch erscheint und zählt fünfzehn Bücher auf, die man unbedingt lesen sollte. Dann Klaviermusik. Bestimmt Walter Gieseking, der Pianist, nach dem die Hauptfigur in Uslars Roman „Waldstein oder der Tod des Walter Gieseking am 6. Juni 2005“ benannt ist. Perfekte Inszenierung.

Endlich betritt der Mann die Bühne. Der Lemmy von Motörhead in einem seiner legendären Interviews für das SZ-Magazin fragte, ob er während der Konzerte wirklich Windeln trage: Jeans, schwarzes Jackett, angeklatschter Scheitel. Er legt sofort los. Es wird gelacht, als Uslar „Ragga“ wie „Raagaa“ ausspricht, ebenso bei Wörtern wie „Arschmonster“ oder „ultra-slick“. Trotz solcher Humoreinlagen ist der Gieseking-Text schwer, zu schwer für ein Publikum, das unterhalten werden möchte. Erste Köpfe sacken auf Schultern. Uslar sagt: „Wir sind hinter der Hälfte der Lesezeit, ich hab das im Blick.“ Der Romanheld philosophiert über Freundschaft, sein Kumpel José verschenkt einen Regenschirm. Maxim Biller steht auf und geht ein Bier trinken. Die Handys im Publikum geben seltsame Geräusche von sich, während Gieseking Sex mit einer Franziska hat. Vor dem letzten Satz klappt der Autor das Buch zu und blickt ins Publikum: „Ein Bier, bitte. Vielen Dank!“ Wummernder Punkrock setzt ein. Die Zuhörer erwachen.

ANDREAS RESCH