Blöder Biedersinn

Karneval, Fassnacht, Fasching oder wie das Fest vor Aschermittwoch sonst noch so heißt: Deutschland dementiert mal wieder das Ende der Spaßgesellschaft. So ein Mist

VON JAN FEDDERSEN

Wer heute in Köln anzurufen versucht, hat schon verloren. Gilt als Spaßbremse. Tage darauf heißt es, nach dem Vorwurf, dass niemand erreicht werden konnte: Ts ts ts ... War Karneval, hmmh? Klingt wie: Trottel, keinen Sinn für Humor? Düsseldorf, Köln, Mainz ... niemand zu Haus. Wer es nicht aushält, und das tun viele nicht, flieht oder schließt sich ein, akustisch freilich ohne echte Chance, dem Gegröle zu entrinnen. Und der Rest? Eine Art Ausnahmezustand, der, wie das Wort schon sagt, die Regel suspendiert – und im Rheinland, wo der Katholizismus besonders hartnäckig überlebt, einmal im Jahr zur Anwendung kommt.

Man muss das so technisch beschreiben, sonst versteht man nicht, was dort passiert, bis Aschermittwoch, wenn die so genannte Fastenzeit anbricht. Und zwar jedes Jahr, bis auf 1991, als der Golfkrieg ausbrach. Die Deutschen? Haben ja die Weltläufte immer gern im Blick und verhielten sich politisch überkorrekt – also wurde der Rosenmontagszug abgesagt. Aber sonst kann ihn nichts erschüttern, und eben dies belegen und beweisen immer noch die Bilder, die man im Fernsehen aufbereitet bekommt. Der WDR beliefert seine Kundschaft mit karnevalistischer Showvollversorgung, das ZDF erzielte mit „Mainz bleibt Mainz, wie es singt und lacht“ eine exzellente Quote – die ARD vermeldet ähnlich, dass alle Karnevalsübertragungen prächtigen Zuspruch fanden.

Eine Orgie des Falschen

Aber warum nur, aus was ziehen sie „kulturellen Gewinn“ (Botho Strauß)? Man sieht Menschen in grotesken Kostümen, Pappnasen mitten im Gesicht, dieses obendrein fies geschminkt, die Frisuren eine einzige Orgie des Falschen, grell ummalte Augen, deren Ränder viel zu oft unter Turbosonnenbänken gegart wurden. Und dann sieht man vortragende Menschen auf der Bühne, im übrigen Männer meist. Sie sagen Dinge, die wohl als frech, witzig, komisch wahrgenommen werden möchten. Das Publikum applaudiert dann und wann – aber schwenkt eine Kamera über ihre Gesichter, sieht man sie zwar klatschen, aber erstaunlicherweise ebenso, dass niemand aus vollem Halse lacht. Man schmunzelt, weil es offenbar auch keinen Anlass gibt, etwas wirklich prima witzig zu finden.

Keiner, der in spontanes Gelächter ausbricht, der sich, wie es salopp heißt, bepisst vor Lachen. Und das ist auch kein Wunder, denn die Sottisen und Anekdoten, die da auf den Bühnen exekutiert werden, sind trostlos schlecht – vor-witzig sozusagen. Und allesamt zehren diese Büttenredner vom gleichen Kanon dessen, was auch ihren Sinn höchstpersönlich stiftet: Anspielungen zuhauf auf den Finanzminister und dass er einem das Geld aus der Tasche zieht, früher Eichel, heute Steinbrück; die Jamaica-Koalition (ertrinkt im Rum!), ein wenig Schröder (Gazprom!, Schäfchen im Trockenen!), eine Prise Stoiber (Karin wollte nicht nach Berlin!), aber als Evergreen fallen immer wieder Worte wie „Schwiegermutter“ und „Blähungen“.

Das ist überhaupt das unverhüllte Rezept aller karnevalistischen Mühen: Der Mann als solcher verzweifelt an der Welt, an Ehe und der Mutter der Gattin. Und die Frau? Eine rare Spezies in den Bütten, Hella von Sinnen hat selbst im alternativen Segment kaum Erbinnen gefunden. Die Frau des gewöhnlichen Karnevals ist ein Funkenmariechen, ein Mädel, das die Beine unterm acryligen Festrock stampft & schwingt – als ob das Zeigen des Beins wie dereinst erotische Begierden weckt. Die schon gar nicht! Die Figur des Weiblichen ist eine der Unberechenbarkeit, das lernt man, die man besser nicht an die Schaltstellen setzt. Keine TV-Übertragung, bei der nicht ein Mann den Zeremonienmeister (das sind die mit den gezacktesten Narrenkäppis) spielt, in der Regel ein älteres Exemplar: Ein Tusch den Mädchen!

Ethno- wie Soziologen haben in den Achtzigerjahren viel Akribie darauf verwendet, den Karneval als subversiv zu skizzieren, als grenzverschwimmende Orgie eines gesellschaftlichen Zustands, in dem nichts mehr so gilt wie davor. Der Prinz ist kein Prinz, sondern der Prinz ist ein Bettler. Närrische Tage als alle Jahre wieder aufgefrischtes Zitat aus der Welt des Kampfes gegen die Obrigkeit. Knapper gesagt, dass Karneval okay ist. Kann sein. Aber um die Marx’sche Religionskritik zu paraphrasieren: Karneval – ein delirierend semilustiger Furzer der bedrängten Kreatur. Eine, die sonst keine Sorgen zu haben scheint. Die sich auf den Karneval etwas einbildet, als sei damit jede Stiftung-Warentest-Prüfung auf den mitreißendsten Humor mit der Note „sehr gut“ hinter sich zu bringen. Eine Veranstaltung für ein Volk, das schon für Protest hält, wenn die Eigenheimzulage gestrichen werden soll und es dagegen buht, das jeden Steuersatz in eigener Sache für kriminell hält und die Finanzminister am liebsten an die Wand stellen würde.

Lüsterne Sabberigkeiten

Furzen, das ist jedoch das wichtigste Stichwort. Der Karneval lebt von der Idee des Sexuellen überhaupt, weiß um das Beichtgeheimnis und darum, dass Mittwoch viel Last vom Herzen, schwere Sünden gebeichtet werden müssen. Lüsterne Sabberigkeiten in allen Sendungen, schunkelnde Fantasien in der Rüstung des Körperpanzers, grundiert von einem kaum mehr als unglücklich, sondern deprimierend verklemmt zu bezeichnendem Verständnis für die Lustquellen des Menschen. Voriges Jahr – und die Mainzer sind auch noch immer stolz darauf – schob man in der ZDF-Stadt einen Festwagen durch die johlend-tremolierend lärmerfüllten Straßen, in dem Angela Merkel dargestellt wurde.

Ist kein Problem, nicht wahr? Natürlich nicht. Aber man mokierte sich über ihre Kritik an der Schröder’schen Politik der US-Regierung gegenüber. Das war die gedankliche Basis der karnevalesken Aktion. Kann man machen. Wie haben die Mainzer das gelöst? Bush wurde aus einem Styroporklumpen zu einer monströs gebückten Figur geschnitten, gesägt und gefeilt, deren Hintern entblößt ist. Und die damalige Kanzlerkandidaten stand auf einer Leiter, um ihm in den ... zu kriechen. Ja, eben – das war unverblümt vorgeführt: Das Anale ist der Deutschen liebste Tabuzone. Üble Löcher, aus denen es olfaktorisch gefährlich dampfen könnte. ArschkriecherIn: eine Vokabel, die genutzt wird, um Opportunismus zu benennen. Wozu gerade dieser Körperteil? Weshalb wird dieser Körperteil so stigmatisiert, um einen Charakterzug zu benennen, der nicht als fein gilt? Angstlust? Die visuelle Hilfskonstruktion eines erotischen Feld des Verbotenen.

Und Merkel wurde prompt Kanzlerin. Ist das die Moral von der Geschicht? Karneval ist ein Mirakel des blähenden Biedersinns mit öffentlicher Aufführungslizenz, an deren Ende nur Mist herauskommt.

Schwachsinn die Rede überdies, dass Karneval oppositionellen Geist befördere. Wenn das so wäre, dürften die Rosenmontagsfeierlichkeiten kein Gegenstand touristischer Überlegungen sein. Sind es aber. Kein Dorf, das nicht selbst gern Karnevalsstätte wäre: Das treibt das Volk auf die Straße, befeuert die Umsätze der Imbissbuden – und zeigt an, dass man als Dorf nicht nur schöner werden will, sondern auch weltoffener. Verstecken hinter Jägerzäunen? Machen nur noch Spießer – und wir sind also keine. Wasungen, Winsen oder Osnabrück: Orte, die mit Karneval nix zu tun haben? Sie haben keine Ahnung: Überall wird inzwischen Karneval zelebriert.

Leider nicht zu verbieten

Sogar gestern in Berlin: Wie man sehen konnte, vermischt sich auch ethnisch alles, was in Berlin sonst parallel an sich vorbeilebt. Dafür lohnt es sich, als Beteiligter, schon im Herbst in einen Baumarkt zu gehen, um die Bastelmaterialien für die Umzugswagen zu kaufen: Do it yourself – Deutschland ist nicht umsonst das Land der Tüftler und Bastler. Und in der Zeit des Frohsinns wird dieser Zug zum Höhepunkt gebracht. Was kann da schon ein CSD sein? Eine misogyne Parade, die Karneval spielt – und das gelingend.

Weder Karneval noch Fasching noch Fassnacht sind zu verbieten, leider. Rosenmontag ist die Chance, die Kulturkritik des Botho Strauß, die verzweifelten Stimmen aus kulturkonservativer Ecke ernst zu nehmen. Mittwoch ist alles vorbei. Am 11. November, elf Uhr elf, geht es wieder los. „Verrückte Hühner“ stand auf einem Käfig im ostdeutschen Wasungen, eine indezente Anspielung auf die Vogelgrippe. „Bevor’s zurück geht in den Stall, feiern wir noch mal den Karneval“, stand dort ebenfalls zu lesen: Aber dann möchte dieses Versprechen – bitte schön – auch gehalten werden.