Chirac hat das Huhn fest im Biss

Nicht nur Puten, auch Mücken machen französischen Politikern Sorgen. Der Präsident verspeist ein „Poulet de Bresse“, um die Geflügelbranche zu retten

AUS PARIS DOROTHEA HAHN

Französische Medien bieten in diesen Tagen Nachhilfeunterricht in Zoologie. Sowohl mit immer mehr Details über Wild- und Zuchtvögel – insbesondere seit Ende vergangener Woche in einer Putenzucht nördlich von Lyon erstmals in Europa bei Zuchtgeflügel das Virus H5N1 festgestellt wurde. Als auch mit Informationen über die schwarz-weiß gestreifte Mücke Aedes albopictus. Das – in wärmeren Jahreszeiten auch in Europa aktive – kleine Insekt hat in dem Afrika vorgelagerten Département La Réunion bereits 160.000 Menschen per Stich mit der Krankheit „Chikungunya“ infiziert. An ihren direkten und indirekten Folgen sind nach Schätzungen bereits 77 Menschen gestorben.

An beiden Fronten, sowohl bei der Vogelgrippe in der Metropole als auch bei der Krankheit „Chikungunya“ – „gebückter Mensch“ wegen der damit einhergehenden Gelenk- und Muskelschmerzen –, kämpfen Pariser SpitzenpolitikerInnen. Allen voran Staatspräsident Jacques Chirac. Seine Methode ist das öffentliche Verspeisen von Hühnchen. Insbesondere solche aus der Bresse, einer Region im Norden von Lyon, aus der die weiß gefiederte Sorte „poulet de Bresse“ stammt, für Gourmets das Nonplusultra, wenn es um Hähnchen geht. Das Problem dieser Delikatesse ist, dass sie in unmittelbarer Nähe des Zentrums der Vogelgrippe gezüchtet wird. Ganz in der Nähe eines Örtchens namens Joyeux (freudig), wo die erste an H5N1 verendete Wildente in Frankreich gefunden wurde, und unweit von Versailleux, wo Ende vergangener Woche der Putenzüchter Daniel Clair hunderte von toten Tieren in seinem Stall fand.

Seit Clairs Fund sind seine 11.000 Puten geschlachtet und abtransportiert und zwei Sicherheitszonen um sein Gehöft abgesteckt worden. Innerhalb der Sicherheitszonen dürfen sich nur Einheimische bewegen. Reifen von Autos werden abgespritzt. Putenzüchter Clair und seine Frau mussten drei Tage in totaler Isolation auf ihrem Gehöft verbringen und Tamiflu einnehmen.

Eines der bislang ungeklärten Rätsel ist, dass die Clair’sche Putenzucht – auch vor dem Anflug der Vogelgrippe – komplett hinter verschlossenen Türen stattfand. Niemand weiß, wie das Virus in die Ställe geriet. Ob über verseuchtes Futter, über Heu oder – wie der Züchter meint – möglicherweise an den Schuhsohlen von JournalistInnen, die zuerst die Fundstelle der verendeten Wildente und anschließend die umliegenden Gehöfte besichtigten.

Mit den öffentlichen Geflügelverspeisungen von Chirac, aber auch mit finanziellen Zuwendungen an die Branche, versuchen die SpitzenpolitikerInnen, den Schaden durch die Vogelgrippe zu begrenzen. Frankreich ist Europas größer Geflügelexporteur. 700.000 Tiere werden in mehr als 30.000 Zuchtbetrieben gehalten. Und Rund 65.000 Menschen leben direkt von der Arbeit damit.

Im Vergleich zum letzten Jahr ist der Geflügelabsatz in Frankreich bereits gesunken. Die großen Zuchtunternehmen sprechen von einem Rückgang von 15 Prozent seit Herbst und haben bereits mehr als 1.500 Beschäftigte entlassen. Um weitere Massenentlassungen und den Ruin der kleineren GeflügelzüchterInnen sowie der mit dem Vertrieb und -verkauf beschäftigten Branchen zu verhindern, hat die Regierung Unterstützungszahlungen in bereits zweistelliger Millionenhöhe angekündigt. Zugleich hat sie noch strengere Vorsichtsmaßnahmen für die Zucht angeordnet. Für die am Samstag eröffneten Landwirtschaftsmesse in Paris, bei der alljährlich tausende von Zuchttieren neun Tage lang der Öffentlichkeit vorgeführt werden, hat sie strikt den Zugang für Geflügel verboten. Derartiges ist nicht einmal auf dem Höhepunkt der Rinderkrankheit BSE geschehen.

Die VerbraucherInnen bleiben vorerst gelassen. MetzgerInnen sind überzeugt, dass der Verkaufsrückgang ebenso vorübergehend sein wird wie einst bei BSE. Vor den Geflügelröstereien auf Pariser Straßenmärkten bildeten sich auch gestern Morgen wieder lange Schlangen.

Kein bisschen gelassen ist hingegen die Stimmung auf der Insel La Réunion, wo jede fünfte Person an „Chikungunya“ erkrankt ist. Nachdem bereits mehrere Fachminister aus Paris auf die Insel geeilt waren, um mehr Hilfe – unter anderem Soldaten, die Insektengift versprühen, mehr Personal für die Krankenhäuser und Entschädigungen wegen des Tourismusrückgangs – ankündigten, war am Wochenende Premierminister Dominique de Villepin auf La Réunion. Er reiste in einer Wolke von Insektengift an, um sich gegen eine Infektion mit der Krankheit zu schützen. „Wir haben die Gefahren von Chikungunya unterschätzt“, gab der Premierminister vor Ort zu, „nach dem Aussterben der Malaria auf La Réunion im Jahr 1979 hat unserer Wachsamkeit gegenüber Mücken nachgelassen. Die Regierung will den Fehler korrigieren.“