Unbekümmerte Flügelzange

FRAUENFUSSBALL Lena Lotzen und Melanie Leupolz bringen eine Unbekümmertheit ins Offensivspiel ein, die der Nationalmannschaft bei der EM guttut. Sie haben von der Ausbildung mit männlichen Mitstreitern profitiert

„Sie haben manchmal erst hinterher gemerkt: ‚Oh, da hat ein Mädchen mitgespielt‘“

LENA LOTZEN

AUS VÄXJÖ FRANK HELLMANN

Am Tag danach herrschte naturgemäß prächtige Laune. Die bestens gebräunte Sandra Smisek und die frisch operierte Kim Kulig hatten sich auf die Steinstufen des Mannschaftshotels der deutschen Frauen-Nationalelf in Växjö gesetzt, um in der schwedischen Sonne zu fachsimpeln.

Die Exnationalspielerin und die Rekonvaleszentin hatten sich beim 3:0 gegen Island selbst davon überzeugt, wie leicht und locker dieser Talentschuppen den ersten Ballast dieser EM losgeworden ist. Als sich am Montag nach dem Mittagsessen der Mannschaftsbus an die Ostsee aufmachte – auf der Insel Öland wird für das dritte Gruppenspiel am Mittwoch in Kalmar gegen Norwegen (18 Uhr) Station gemacht –, begleitete viel Zuversicht die deutsche Delegation.

Selbst wenn in Viertel- und Halbfinale nacheinander die hoch gehandelten Fußballerinnen Spaniens und Frankreichs warten sollten, braucht niemandem mehr bange sein. Silvia Neid zeigte sich erfreut über die „Antwort an alle Kritiker“, und dann schwärmte die Bundestrainerin „von spielintelligenten, beidfüßigen und zweikampfstarken Spielerinnen“, als sie beispielsweise auf ihre beschwingten Flügel angesprochen wurde.

Auf den Flanken hatte sie nämlich Lena Lotzen und Melanie Leupolz platziert – 19 Jahre jung, extrem lernfähig. Die eine (Lotzen) brach mit ihrem ersten Länderspieltor den Bann, die andere (Leupolz) heimste im ersten Länderspiel viel Lob ein. Das Duo brachte eine unbekümmerte Art ins deutsche Spiel ein, von der auch Spielmacherin Dzsenifer Marozsan und Torjägerin Celia Okoyino da Mbabi profitierten. „Wir kennen unsere Laufwege ja von den vielen U-Turnieren“, hat Marozsan am Montag auf der Pressekonferenz in Växjö erklärt, wo auch Leupolz erschien, die demnächst verbandsseitig mit der Fritz-Walter-Medaille in Gold für die beste Nachwuchsspielerin ausgezeichnet wird.

„Ich war ein bisschen nervös, aber es hat mir richtig Spaß gemacht“, beschied Leupolz, und entschuldigte sich fast dafür, dass sie doch noch während der Frauen-WM 2011 vor einer Leinwand stand und ihr Vorbild Fatmire Bajramaj anhimmelte – zwei Jahre später scheint sie die lange verletzte Teamgefährtin locker zu überholen.

Die Parallelen der spätestens 2012 bei der U-20-WM als Toptalente geltenden Spielerinnen sind verblüffend. Beide haben vielleicht ganz bewusst ihren Aufstieg nicht bei den Branchenführern VfL Wolfsburg, Turbine Potsdam oder 1. FFC Frankfurt vorbereitet. So wie die seit drei Jahren beim FC Bayern geförderte Lotzen bis zum 16. Lebensjahr bei der TG Höchberg vorwiegend mit Jungs zusammenspielte, war es bei der bereits 2010 zum SC Freiburg gewechselten Leupolz. „Mein Heimatverein war der TSV Ratzenried.“ Und die Mitstreiter fast alle männlich. Durchbeißen war da angesagt.

Die gebürtige Würzburgerin Lotzen ist einst beim DFB-Stützpunkttraining das einzige Mädchen unter 117 Jungen gewesen. „Ich habe durchgezogen, die haben durchgezogen. Dann haben sie manchmal erst hinterher gemerkt: ‚Oh, da hat ein Mädchen mitgespielt‘.“ Nun ist sie mächtig stolz darauf, dass der FC Bayern nächste Saison die Heimspiele der Frauen-Bundesliga im Stadion an der Grünwalder Straße austragen lässt.

Die aus dem Allgäu stammende Leupolz, die so herrlich schwäbeln kann, schlug im Breisgau den typischen Weg eines dort beheimateten Juniorenfußballers ein: Wohnung im Olympiastützpunkt Freiburg-Schwarzwald, Besuch einer Fußball-Eliteschule. Parallel hat sie ihr Abitur gebaut, bald will sie noch Betriebswirtschaft studieren. Aber ganz aktuell gilt, die vielen Glückwünsche abzuarbeiten, die ihr Smartphone überflutet haben. Den Freunden in der Heimat richtete sie in ihrem mühsam erlernten Hochdeutsch aus: „Ich versuche alles zu beantworten.“