Zwei große „non“

AUS PARIS DOROTHEA HAHN

Eine riesige Menschenmenge zog gestern durch das Zentrum von Paris. Ein zweifaches „non“ war das gemeinsame Thema der DemonstrantInnen auf dem Weg von der Place de la République, vorbei an dem Geschäft, in dem der ermordete jüdische Telefonverkäufer Ilan Halimi gearbeitet hat, bis hin zur Place de la Nation: Nein zum Rassismus und Nein zum Antisemitismus.

An der Spitze der knapp 100.000 Demonstranten gingen religiöse VertreterInnen sowie PolitikerInnen aller möglichen Parteien der Mitte. Der rechte Politiker Philippe de Villiers, Chef einer Partei, die auf christlicher Moral und viel xenophoben Ressentiments basiert, war vor Demonstrationbeginn vom Ordnerdienst vertrieben worden. DemonstrantInnen skandierten dazu: „Keine Rassisten in der Antirassismusdemonstration“. Weil auch die rechtsextreme Partei Front National zu der Demonstration aufgerufen hatte, waren mehrere der ursprünglichen OrganisatorInnen, darunter Antirassismusgruppen wie die Mrap auf Distanz gegangen und dem gestrigen Zug ferngeblieben. Andere Gruppen erklärten öffentlich, sie würden versuchen, jede Teilnahme von RassistInnen zu verhindern.

FreundInnen des Toten Ilan Halimi sagten vorab, die Demonstration sei von einer Hommage für den Toten zu einer politischen Veranstaltung geworden. Manche gingen deswegen nicht hin.

Bei Polizei und Ordnertruppen in Paris hatte bis zuletzt extreme Anspannung geherrscht, aus Sorge vor gewalttätigen Übergriffen auf den Demonstrationszug – unter anderem von Seiten extremistischer jüdischer Organisationen, die schon mehrfach bei linken Veranstaltungen in Paris zugeschlagen haben. Die radikale politische Linke war gestern allerdings gar nicht mit dabei. Angesichts der politischen Vereinnahmung der Mobilisierung unter anderem durch PolitikerInnen der Regierung befürchtete die Linke, dass vor allem fremdenfeindliche Ressentiments verstärkt würden. Unter anderem hatte Innenminister Nicolas Sarkozy im Parlament im Zusammenhang des Mordes von einem „Antisemitismus per Amalgam“ gesprochen. Dabei waren bis gestern noch nicht einmal alle Tatverdächtigen verhaftet worden. Geschweige denn standen die Motive und Umstände der grausamen Tat einwandfrei fest.

In zahlreichen anderen französischen Städten fanden kleinere Gedenkveranstaltungen statt. Darunter in Bagneux, im Süden von Paris, wo der 23-Jährige drei Wochen lang in einer Wohnung festgehalten und schwer misshandelt worde war. Bis gestern Nachmittag waren 17 Menschen wegen des Verbrechens in französischer Haft. Sie sind zwischen 16 und 39 Jahre alt, stammen zum größeren Teil aus Einwanderungsfamilien und zum kleineren aus alteingesessenen Familien. Der selbst ernannte Chef ihrer Bande, die sich „Gang der Barbaren“ nannte und von der Familie des Entführten 450.000 Euro Lösegeld verlangt hatte, war gestern noch in der Hand der Behörden in der Elfenbeinküste. Er soll in den nächsten Tagen ausgeliefert werden. Ein zweiter mutmaßlicher Chef der Bande ist jetzt in Frankreich in Haft. Der Informatiker soll unter anderem die Logistik für die anonymen Drohmails und Anrufe organisiert haben.

Die französische Justiz ermittelt mittlerweile wegen mehrerer Verbrechen im Vorfeld der Entführung von Ilan Halimi. Unter anderem soll die Bande Erpressungen bei Arte-Chef Jérôme Clément versucht haben. Bei einer anderen Gelegenheit gab sie sich als die bewaffnete korsische Organisation „Armata Corsa“ aus, um Geld zu erpressen. Entgegen ihrer ursprünglichen Vermutungen halten die Ermittler die Bande inzwischen für eine bereits „ältere“ Struktur, die bereits seit Jahren existiert und im Großraum Paris erpresserisch tätig geworden ist. In Paris, in Marseille und in der Elfenbeinküste sind bislang sowohl Geiselnehmer als auch zwei Chefs der Bande, mehrere Mädchen, die als „Köder“ tätig waren, und ein Hausmeister verhaftet worden. Gesucht werden noch mindestens zwei weitere Chefs der Bande.