ZWISCHEN DEN RILLEN
Tiefseetauchertanzmusik: das neue Album von Four Tet

„There is Love in You“ zeigt: Kieran Hebden hat wieder aus seiner verschachtelten Phase herausgefunden und drängt auf den Dancefloor

Zum ersten Mal begegnete mir die Musik von Four Tet in einer nordenglischen Kommune. Ein Freund hatte sich dorthin zurückgezogen, weil ihm Berlin zu negativ war. In seinem mit Tatami-Matten ausgelegten Zimmer meditierte er oder hörte CDs, die er, von ihren Hüllen befreit, in platzsparenden Hängeregistern aufbewahrte. Er habe, sagte der Freund, beschlossen, nur noch „positive“ Kulturerzeugnisse zu konsumieren, Bücher und Musik, die sich von der „bürgerlich-dekadenten“ Logik des Kulturbetriebs abhoben.

Nach einem Blick auf die linken Kitschromane in seinem Bücherregal erwartete ich Schlimmes. Doch aus den Boxen zirpten und wuselten freundliche, aber angenehm trockene Elektroklänge. Kleine Loops, getragen von einem meditativen Beat, dazwischen Glöckchen und Chöre. Erstaunlich beglückend.

Die Musik des englischen Musikers Four Tet war ein bisschen Folk, ein bisschen Freejazz und erzeugte beim Hören eine kosmische Weite, die eher nach den chemischen Drogenerfahrungen großstädtischer Clubs klang als nach Landhippietum. Ich verstand, warum sich mein in Berlin sozialisierter Freund in dieser Musik so zu Hause fühlte.

Den Freund verlor ich irgendwann aus den Augen, Four Tet hingegen nicht. Nach drei weiteren Studioalben, die der Brite Kieran Hebden unter diesem Namen veröffentlichte und dem Verfolgen diverser Nebenprojekte, erlahmte die Begeisterung etwas. Nur das rhythmusverschachtelte, aber präzise Album „Rounds“ blieb auf meiner iPod-Playlist. Mit dem fünften Studioalbum „There is Love In You“, das nun bei Domino Records erschienen ist, gelingt Hebden nun wieder das Kunststück, ein in sich stimmiges Album voller Glücksmomente zu veröffentlichen.

Schon der Auftaktsong „Angel Echoes“ zeigt, dass Kieran Hebden aus seiner verschachtelten Phase herausgefunden hat und zurück auf den Dancefloor will. Ein strammer Housebeat treibt zerhackte Sirenengesänge und Glöckchengeklöppel vor sich her. Die Balance zwischen träumerisch-verspielt und Disco hält der zweite Track „Love Cry“. Wie gut dieser für positive Kollektiverfahrungen taugt, zeigte sich beim Live-Auftritt von Kieran Hebden auf der „Transmediale“, wo eine dichtgedrängte Menschenmenge sich in Euphorie wiegte wie ein Algenteppich.

Tiefseeassoziationen hat man auch beim Hören des neuen Albums. Über dem pochenden Beat mäandern liebliche Melodien, Gesangsfetzen, Zirp-, Klingel- und Summgeräusche fließen in einen friedvollen Strom zusammen, der alles Unbehagen fortreißt und mit Harmonie umspült. Gelegentlich treibt es Hebden mit der Harmonieseligkeit ein wenig zu weit. An manchen Stellen auf „There is Love in You“ überlagern sich ethnohafte Frauengesänge und Babygeräusche. Man fühlt sich in die Ära der Goatrance-Festivals zurückversetzt, hat bunt gewandete Pillenesser, die mit ihren nackten Kindern auf der Wiese tanzen, vor dem inneren Auge.

Aber die Momente der Irritation sind nur punktuell und schnell vorbei. Rhythmus und Ton wechseln, es wird lichter, klarer, komplexer. Dass diese Wechsel auch innerhalb eines Tracks geschehen, bewahrt „There is Love in You“ davor, Hippie-Kitsch zu sein. „Plastic People“, das vorletzte Stück auf dem Album, schafft wieder den Weg zurück auf den Dancefloor. Das schwingende Gebilde, das aus einem soliden Bass und gänzlich unpeinlichen Samba-Rasseln heranwächst, illustriert wohl am besten, warum Kieran Hebden auch ein gefragter Remixer für Bands wie Hot Chip, Radiohead oder Aphex Twin ist. Und zuletzt durch eine Kollaboration mit dem Dubstep-Produzenten Burial überraschte: Das Ergebnis „Moth/Wolf Cub“ klang frisch und knackig und war binnen kürzester Zeit vergriffen. „There Is Love In You“ funktioniert im Club genauso wie in meiner Altbauküche. Oder im Kommunenzimmer meines Freundes – falls er dort noch sitzt. NINA APIN

■ Four Tet, „There is Love in You“ (Domino/Indigo)