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schaut sich in den Galerien von Berlin um

MARCUS WOELLER

Der junge Mann schluchzt so herzzerreißend, dass man ihm über den Kopf streichen und ihn in den Arm nehmen möchte, nur um ihn etwas aufzumuntern. Natürlich auch, um herauszufinden, was ihn so bitterlich weinen lässt. „I’m too sad to tell you“, hat Bas Jan Ader auf das fotografische Selbstbildnis gekritzelt. Ein begleitender 16-mm-Stummfilm mit demselben Titel folgt der Traurigkeit, die ihre Tränen immer wieder hinter der Gestik der Hände verstecken will. Doch der Grund bleibt im Unklaren. Ader rührt nicht nur an, er rührt an existenzielle Fragen. Mit seiner konzeptuellen Ernsthaftigkeit und sensiblen Herangehensweise gehörte er zu den wichtigen Erneuerern künstlerischer Praxis neben Persönlichkeiten wie Bruce Nauman, Chris Burden oder Robert Smithson. Ader ließ sich performativ von Bäumen fallen oder stürzte mit dem Fahrrad in Grachten. „In Search of the Miraculous“ lief der Niederländer mit Wohnsitz Los Angeles 1973 Nacht für Nacht von den Hollywood Hills hinunter zum Pazifik und fotografierte dunkel verschattete Bilder eines Mannes, der auf dem Weg ist. Eine Ortsbegehung als Selbstbefragung, die in ihrer Melancholie schon auf sein radikales, letztes Projekt vorgreift. Von dem er allerdings nicht zurückkommen sollte. 1975 stach Ader in See, um mit einer Jolle den Atlantischen Ozean zu überqueren. Life-Art-Performance oder Selbstmordkommando? Ein Jahr später wurde die Nussschale 200 Kilometer vor der Küste Irlands aufgefunden. Von Ader fehlte jede Spur. Mit einer kleinen Retrospektive des Ausnahmekünstlers verabschiedet sich auch die Galerie Klosterfelde von der Bühne. Nach 18 Jahren und mehr als hundert Ausstellungen streicht Martin Klosterfelde die Segel. Wie letzte Woche bekannt wurde, will er seine Galerie aus persönlichen Gründen nicht weiter betreiben. (Bis 10. August, Di.–Sa., 11–18 Uhr, Potsdamer Str. 93)

Nur eine Zwangspause macht dagegen C/O Berlin. Die aus dem Postfuhramt in Mitte vertriebene Fotogalerie bereitet sich auf den Neuanfang in Charlottenburg vor. Und setzt auch erst einmal auf eine seriöse Ortsbefragung. Der Kurator Hans Georg Hiller von Gaertringen durchforstete dafür Fotoarchive und Museumsbestände nach Zeitzeugnissen. Während die Architektur auf ihre Sanierung und Eröffnung im nächsten Jahr wartet, dokumentiert die Ausstellung „Bourgeoisie, Swing und Molotowcocktails. Das Amerika Haus im Wandel der Zeiten“ in einer Open-Air-Inszenierung die wechselhafte Geschichte des ehemaligen Kulturpropagandazentrums der USA in der ehemaligen Frontstadt Westberlin. (Bis 15. September, täglich, 0–24 Uhr, Hardenbergstr. 22–24)

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