Dialektischer Leitungsbau

ENERGIE Die Betreiber legen ihre Pläne für neue Netze vor: Danach werden 600 Kilometer mehr Stromtrassen als gedacht benötigt. Zugrunde liegen jedoch absurde Annahmen über Offshore-Windkraft

BERLIN taz | Der Netzbetreiber Tennet hat innerhalb von zwei Monaten zwei völlig unterschiedliche Daten zum Ausbau der Offshore-Windkraft veröffentlicht – das schafft wieder Verwirrung in der Frage, wie viel neue Stromnetze in Deutschland gebraucht werden.

Am Mittwoch übergaben Tennet und die drei anderen deutschen Übertragungsnetzbetreiber der Bundesnetzagentur den Netzentwicklungsplan Strom 2013 (NEP). Darin sind 3.400 Kilometer neue Höchstspannungsleitungen vorgesehen, 600 mehr als noch im NEP 2012. Die Bundesnetzagentur muss den Plan genehmigen, es könnte also wieder weniger werden. Am Ende legt die Bundesregierung anhand des NEP fest, wie viel tausend Kilometer neue Höchstspannungstrassen in den nächsten Jahren gebaut werden.

Was die zusätzlichen Leitungen nötig macht, ist unter anderem der boomende Ausbau der Offshore-Windkraft. Mit 1,1 Gigawatt mehr rechnen die Netzbetreiber im wichtigsten der vier berechneten Szenarien – insgesamt 13,1 bis 14,1 Gigawatt.

Dumm nur, dass die Offshore-Windkraft nicht boomt. Im Gegenteil: Tennet selbst hat im Mai dieses Jahres gewarnt, dass im optimistischen Fall bis 2023 gerade mal 5,9 Gigawatt Windkraft auf den deutschen Meeren erzeugt werden. Warum steht im NEP nun mehr als doppelt so viel? Tennet verweist auf die Bundesnetzagentur. Die gebe den Netzbetreibern vor, mit welchen Offshore-Zahlen sie zu rechnen haben. Die Agentur wiederum sagt, nach der öffentliche Konsultation 2012 seien diese Zahlen eben rausgekommen. Allerdings warnte die Windkraftbranche schon damals: Die Pläne der Bundesregierung – 12 Gigawatt bis 2023 – seien nicht zu erfüllen. Nun sind offenbar die politischen Wunschvorstellungen in den NEP eingeflossen. Womöglich ist aber auch der Pessimismus der Offshore-Branche Kalkül: Er liefert ihr ein gutes Argument, die Verlängerung der jetzigen Förderung zu verlangen, die 2017 ausläuft. INGO ARZT