Die Geschichte der 3.150 Haarspangen

TROJAS UNTERGANG In der O2-World ist heute das Historienspektakel „Troja“ zu sehen. Die Tanzshow entfernt sich von der antiken Vorlage und bohrt die Geschichte vom Holzpferd zum türkischen Nationalmythos auf

VON DORIS AKRAP

Eine Show will Mustafa Erdogan sein Tanzspektakel nicht nennen, jedenfalls nicht auf der Pressekonferenz in Istanbul. Die Legende von Troja sei viel zu bedeutend, um sie in einer Show unterbringen zu können. Doch über, neben und vor dem Tisch, an dem er sitzt, hängen Plakate, auf denen zu lesen ist: „Troja. Eine Tanzshow über Liebe, Lust und Leidenschaft“.

Da scheint sich Erdogan nicht so richtig mit seiner Werbeabteilung abgesprochen zu haben. Egal, ein „General Art Director“ kann sich ja schließlich auch nicht um alles kümmern, wo er zusätzlich auch noch Chefchoreograf des Ganzen ist. Angekündigt als „Eine anatolische Legende“, werde der von dem „anatolischen Dichter Homer“ in der „Ilias“ überlieferte Epos des Trojanischen Kriegs zum ersten Mal von den „echten Nachfahren der Trojaner“ aufgeführt, erzählt Erdogan weiter. Mit türkischem Volkstanz und dessen kulturellen Wurzeln habe er sich schon während seines Philosophiestudiums beschäftigt. Nun will der Autodidakt die „anatolische Lebensart“ genauso vermitteln wie eine „Friedensbotschaft“ verkündigen.

Türken und Trojaner? Krieg und Frieden? Legende oder historische Wahrheit? Ist es fester Boden oder dünnes Eis, auf dem sich „Troja“ und der Choreograf mit seinen Tänzern bewegen? Zunächst einmal ist da die wohl umstrittenste Geschichte aus der griechischen Antike: Ob der Ort (Hisarlik oder Karatepe?), der Krieg (wirklich geführt oder gut gedichtet?) oder der Verfasser (Grieche oder Kleinasiat?), nichts ist sicher.

Doch all diese Probleme kennt Erdogan, und deshalb versteckt er den sagenhaften Stoff der Homer’schen Ilias und des deutschen Archäologen Heinrich Schliemann hinter 12.000 Metern Stoff aus 450 unterschiedlichen Stoffarten, insgesamt zweieinhalb Tonnen schweren Kostümen, 120 Tänzern in 2.000 Gewändern, 3.150 Haarspangen, 3.500 Make-up-Artikeln, 500 Ohrringen, Halsketten und Armbändern, 850 Kopfbedeckungen, 300 speziell angefertigten und 200 einfachen Tanzschuhen, 150 Lichtrobotern und einem acht Meter hohen Pferd aus Holz.

Der Kampf von Achill gegen Hektor; der Pfeil in der Achillesferse; die im Pferd versteckten Griechen – all die bekannten Schlüsselszenen, nur unumgängliche Storyelemente, die flugs hinter sich gebracht werden wollen, damit die aufseiten der Trojaner kämpfenden Völkerscharen über die Bühne jagen und triumphieren können. Kaum hat Achill am rechten Bühnenrand endlich den Kampf aufgenommen, kommen auch schon von links Massen von Amazonen, Thrakern, Kaukasiern oder Lykiern, um Messer und Lanzen zu zücken, und auch das nur, um sich anschließend schnell bei den Händen zu fassen und den an ihren hübschen Kostümen befestigten Schmuck klimpern zu lassen, indem sie um Achill, das Vieh, die anderen Griechen und das Pferd herumtanzen. Selbst die auf der Spitze tanzende schöne Helena muss nach zwei, drei Pirouetten, einem Grand jeté und ein paar Glissés das Feld wieder der nächsten gut gelaunt tanzenden Völkerschar überlassen. Dass der „Raub der schönen Helena“ gar nicht vorkommt, darf selbstverständlich in einem emanzipatorischen Sinne gedeutet werden. Denn bei der Flucht einer Frau in die Arme eines anderen Mannes gibt es wahrlich keinen Grund, gleich dessen ganze Sippschaft mit Krieg zu überziehen.

Strenge Deutsche

Nach vier Jahren Produktions- und Probenzeit wird „Troja“ seit zwei Jahren erfolgreich in der Türkei aufgeführt. Ab heute ist das Spektakel auf Deutschland-Tournee und startet in der O2-World. „Die Deutschen sind ein strenges Publikum. Was den Deutschen gefällt, das gefällt der ganzen Welt“, sagt Erdogan. Die Tour hier sei also eine gute Qualitätsprobe. Im Land des „Musikantenstadls“ geht man mit der türkischen Kultur tatsächlich recht streng um, es sei denn, diese kommt in Form von Köfte oder Folklore daher, und so hatte Erdogans Tanzshowdebüt „Sultans of the Dance“ 6 Millionen Zuschauer.

Auch das türkische Publikum ist von den oft aus dem Balkan stammenden Folkloretänzen fasziniert, denn das auf den Schlussvorhang projizierte Logo „Troja“ wird eingerahmt von zwei türkischen Nationalfahnen. Zuvor wird ein Text verlesen: Alle, die in „anatolischer Erde“ begraben liegen, sollen in Frieden ruhen; gewidmet ist das Stück den „Märtyrern von Troja“ und den „Gefallenen der Schlacht von Gallipoli“. Troja geht in „Troja“ nicht in Flammen auf. Unter anatolischer Erde liegen neben Achill und Hektor auch die osmanischen und die Gefallenen der Entente begraben. Friedensbotschaft und Nationalmythos jedenfalls liegen in „Troja“ Seite an Seite.

■ „Troja“, heute 20 Uhr, O2-World