„Freie Künstler sind doppelt bestraft“

KULTURPOLITIK Gemessen an der Bedeutung der Kultur für Berlin ist der Kulturetat zu niedrig, meint Leonie Baumann, Sprecherin des Rats für die Künste. Im Doppelhaushalt 2013/14 verschlechtere sich die Lage noch

■ Geboren 1954 in Bad Salzuflen, studierte Baumann in Bielefeld Mathematik, Pädagogik und Soziologie. Von 1991 bis 2011 war Baumann Geschäftsführerin der Neuen Gesellschaft für Bildende Kunst. Sie ist seit 2011 Rektorin der Kunsthochschule Weißensee, seit 2012 Sprecherin im Rat für die Künste.

■ Der Rat, der bei der letzten Vollversammlung 300 gewählte Mitglieder hatte, bildete sich Mitte der 90er Jahre als ein Zusammenschluss von großen und kleinen Institutionen und Vertretern der Freien Szene, um gegenüber der Politik und Verwaltung mit einer Stimme für die Kultur zu sprechen. Die Arbeit ist ehrenamtlich.

INTERVIEW KATRIN BETTINA MÜLLER

taz: Frau Baumann, gerade ist ein Semester zu Ende gegangen. Heißt das, jetzt machen die Studenten ein paar Wochen keine Kunst?

Leonie Baumann: Nein. Künstler und Designer nutzen diese Zeit. Die Semester sind so dicht gepackt mit Veranstaltungen und Anforderungen an die Studenten, dass sie froh sind, sich in der vorlesungsfreien Zeit ihren Projekten widmen zu können. Diese sind oft in Kooperation mit Partnern außerhalb der Hochschule entstanden, da gelten die Semesterferien nicht.

Berlin ist eine Stadt, die stolz darauf ist, viele Künstler anzuziehen. Profitieren die Studenten von den Erfahrungen der Künstler, die hierher ziehen?

Das eben macht Berlin attraktiv: Man arbeitet als Künstler hier nicht vereinzelt, sondern hat die Möglichkeit, von vielen Kolleginnen und Kollegen in den unterschiedlichen Sparten Anregungen zu bekommen. Davon profitieren unsere Studenten sicher.

Beschäftigt die Studenten auch Angst vor der Konkurrenz? Ob man in einer Stadt mit so vielen Künstlern noch seinen Ort finden kann?

Die Angst ist eigentlich eher: nicht davon leben zu können, obwohl man gute Ideen hat und etwas Wichtiges für die Gesellschaft produziert. Eine Ausnahme sind einige Designbereiche. Da wissen viele, wenn sie fertig sind, schon, wo sie hingehen. Aber zum Beispiel im Modedesign oder den freien Künsten ist die Konkurrenz sehr groß und kompliziert.

Sie sind schon lange aktiv im Rat für die Künste und in der Initiative „Stadt neu denken“. Warum?

Bei „Stadt neu denken“ kam mein Uranliegen aus dem Wissen um die Notwendigkeit von bezahlbaren Räumen für Künstler, um zu experimentieren, zu präsentieren, zu leben. Wenn aber, wie in Berlin, in der Stadt ein großer Ausverkauf stattfindet von Gebäuden, Flächen und damit Möglichkeitsräumen und nur noch Räume zu hohen Marktpreisen übrig bleiben, fehlen diese Möglichkeiten. Wenn diese Experimentierräume aber verloren gehen, dann wird sich Berlin relativ schnell verändern.

Gemeinsam mit der Koalition Freie Szene hat sich der Rat für die Künste in den letzten Monaten dafür eingesetzt, dass die Freie Szene mehr Mittel erhält. Ein Lösungsvorschlag war, dies aus der seit 2012 diskutierten City Tax zu finanzieren. Mindestens 50 Prozent der neuen Einnahmen für die Freie Szene war die gemeinsame Forderung. Aus der Politik gab es Goodwill-Signale, aber keine verbindlichen Zusagen.

Für dieses Jahr können wir nicht mehr mit der City Tax rechnen, da die abschließende Behandlung im Abgeordnetenhaus noch nicht erfolgt ist. Im günstigsten Fall wird sie ab Januar 2014 eingeführt. Es gibt eine Senatsvorlage, dass die Hälfte der City Tax für Tourismus und Kultur ausgegeben werden soll. Das ist schon mal ein Entgegenkommen gegenüber der Kultur.

Wenn die Hälfte der City Tax für Tourismus und Kultur ausgegeben wird, dann wird die Freie Szene deutlich weniger als 50 Prozent erhalten.

Jetzt kommt es auf die Strategie an. Der Rat für die Künste sieht zum Beispiel in der Finanzierung von Festivals einen tourismusfördernden Aspekt. Wenn etwa Festivals wie Tanz im August oder der Karneval der Kulturen aus der City Tax finanziert würden, könnten ja an anderen Stellen wieder finanzielle Ressourcen frei werden, die dann in die Freie Szene fließen sollten.

Hat durch dieses Szenario nicht der neue Doppelhaushalt 2013/2014 einen Strich gemacht? Diesen beurteilte André Schmitz, der Staatssekretär für Kultur, in einer Pressemitteilung zwar als „ein gutes Ergebnis für die Kultur“. Der Zuschuss für konsumtive Ausgaben erhöhe sich für 2014 um ca. 10 Millionen Euro und für 2015 um weitere 17 Millionen Euro auf 395,8 Millionen. Das klingt erst einmal gut. Dann aber ist von den Tarifanpassungen in den großen Institutionen die Rede, gefolgt von dem Satz: „Die Zuwendungen an die Freie Szene konnten mit ca. 10 Millionen Euro auf dem bisherigen Niveau“ gehalten werden. Der Rat für die Künste bewertete das als Katastrophe.

Weil es de facto eine Verschlechterung der gegenwärtigen Situation ist. Die Probleme der Institutionen, die durch die Tarifsteigerungen entstehen, kann ich als Rektorin der Kunsthochschule übrigens extrem gut nachvollziehen. Auch wir können nachrechnen, welche Kostensteigerungen auf uns zukommen, Tarifsteigerungen, Versorgungslasten, Betriebskostensteigerungen. Das heißt, das Land Berlin hat generell strukturelle Probleme, es braucht politische Lösungen für den Umgang mit den Institutionen.

Und dass diese Lösungen fehlen, ist das eine Katastrophe?

Wenn die großen Häuser auch nur die Tarifsteigerungen ausgeglichen bekommen, geht das wegen der allgemeinen Kostensteigerungen zu Lasten der Programmmittel. Davon ist die Freie Szene direkt betroffen, denn das heißt auch weniger Mittel für freie Autoren, Schauspieler, Bühnenbildner und so weiter. Diese Künstler sind dann doppelt bestraft, auf der einen Seite weniger Projektförderung, auf der anderen weniger Aufträge.

Vom Rat für die Künste und der Koalition Freie Szene wurde der Mehrbedarf der Freien Szene einmal mit 17 Millionen beziffert. Gibt es ein gemeinsames Modell, wo die herkommen könnten, wenn nicht aus der City Tax?

Nicht wirklich. Aber im Verhältnis zum Gesamthaushalt, im Verhältnis zu Mehrausgaben, die an anderen Orten produziert werden, beim Stadtschloss, beim BER, halten wir das für eine kleine und geringe Summe. Denn viel, was in den Bereich der Freien Szene fließen würde, hilft nicht nur, Künstler existenziell abzusichern, sondern geht auch wieder in den Wirtschaftskreislauf der Stadt.

Ist ein Muster darin zu erkennen, dass es die Freie Szene ist, die trotz Erhöhung des Kulturhaushalts nicht mehr erhält?

Das hat uns wütend gemacht. Wir hätten ehrlicher gefunden, wenn es zumindest verbal einen Ausdruck des Bedauerns gegeben hätte. Die Stadt, die ihr Image aus der Kultur aufgebaut hat, ist nicht bereit, diesen Mehrwert wieder in die Kultur zurückzugeben.

„Wir hätten ehrlicher gefunden, wenn es zumindest verbal einen Ausdruck des Bedauerns gegeben hätte. Die Stadt, die ihr Image aus der Kultur aufgebaut hat, ist nicht bereit, diesen Mehrwert wieder in die Kultur zurückzugeben“

Aber ist nicht ein Teil des Problems, dass sich die Stadt dieses Pokern mit schlechten Bedingungen leisten kann, weil eben trotzdem viele Künstler kommen und produzieren, auch unter schlechten Bedingungen?

Das ist die Frage, ob sie diese Entwicklung auch weiter mitmachen. Die Phase des kulturellen Aufschwungs der letzten 15 Jahre suggeriert das vielleicht, aber das ist trügerisch. So lange währt diese Phase noch nicht, in der Kultur zu einem nennenswerten Faktor der Stadtentwicklung wurde. Das kann sich auch schnell wieder verändern, weil Künstler die Kostenspirale, von der die Stadt betroffen ist, nicht mitvollziehen können.

Die Kunstszene könnte die Stadt auch wieder verlassen.

Richtig. Die Künstler sind nicht auf Berlin angewiesen. Aber Berlin ist auf die Künstler angewiesen.

Auf die Mittel der City Tax zu setzen, war auch eine Möglichkeit, mehr für die Kultur zu fordern, ohne über Umverteilung innerhalb des Kulturetats zu reden. Ist man damit einem Problem aus dem Weg gegangen?

Es kann nicht um eine Umverteilung innerhalb des Kulturetats gehen. Wenn man sich die Kostensteigerungen anschaut, dann ist es generell ein Problem, dass viele Institutionen noch mit dem Etat aus den 90er Jahren auf annähernd gleichem Niveau versuchen weiterzuarbeiten. Wir im Rat für die Künste sind der Meinung, dass noch viel mehr Mittel aus dem Haushalt in die Kultur gehen sollten, die nach wie vor nur einen geringen Anteil am gesamten Haushalt hat – zu wenig, gemessen an ihrer Bedeutung für die Stadt.

Die Mittel für die Freie Szene betragen 2,5 Prozent des Kulturhaushalts. Liegt es da nicht doch nahe, Verschiebungen innerhalb des Etats zu fordern?

Für den Rat für die Künste auf keinen Fall. Für mich als Rektorin übrigens auch nicht. Wenn wir Bühnen- und Kostümbildner ausbilden oder Designer, dann sind auch die Institutionen unsere Ansprechpartner und künftigen Arbeitgeber. Alle, die dort arbeiten, zahlen Steuern und produzieren Sinnstiftendes für diese Stadt.