„Ein Job reicht heute nicht mehr aus“

Wer arbeitet, muss davon leben können, sagt CDA-Nachwuchschef und Mindestlohn-Befürworter Dennis Radtke

taz: Die CDU streitet, ob ein gesetzlicher Mindestlohn her muss. Warum sind Sie dafür?Dennis Radtke: Wer sich anschaut, was teilweise bei Leiharbeitern und im Sicherheitsgewerbe bezahlt wird, kann nicht behaupten, dass dies ausreichend zur Existenzsicherung ist. Das Ziel muss sein: Wer arbeitet, muss auch davon leben können und oft reicht ein Job heute dazu nicht mehr aus.

Wie hoch sollte der Mindestlohn denn sein?

Ich tue mich schwer damit, mich auf einen Betrag X festzulegen. Wichtigstes Kriterium muss doch sein, dass das Einkommen Existenz sichernd ist. Dafür muss ein Gehalt ausreichen. Wir wollen ja nicht den individuellen Feudalismus und das Schlaraffenland per Gesetz einführen. Ich denke jedoch, dass sich ein solcher Mindestlohn im Bereich von 5 bis 7 Euro bewegen sollte.

Die Landesregierung hat keine klare Meinung zum Thema. Steht Arbeitsminister Laumann CDA-intern unter Druck, etwas gegen Lohndumping zu unternehmen?

Die Landesregierung muss nicht zu jedem Thema sofort eine einheitliche Meinung haben. Ich bin ein bekennender Freund einer neuen Kultur der Langsamkeit. Manche Dinge brauchen eben Zeit. Wir brauchen alles, aber nicht wieder Rot-Grünes hin und her und vor und zurück. Lieber etwas mal in Ruhe diskutieren. So wird es auch in CDU und CDA passieren, im übrigen ohne Druck für Laumann. In meinen Augen ist er unangefochten. Was er als Minister und Bundesvorsitzender leistet, ist außergewöhnlich gut.

Der CDU-Wirtschaftsflügel ist gegen den Mindestlohn, weil er angeblich Jobs kostet.

Der Wirtschaftsflügel sagt aber auch, und das mit Recht: Wer arbeiten geht, muss mehr in der Tasche haben als jemand, der nicht arbeiten geht. Das kann aber nicht nur durch Leistungskürzungen auf der einen Seite geschehen, sondern auch durch einen Mindestlohn und den Kombilohn auf der anderen Seite. Im übrigen gibt es einen Mindestlohn in vielen Ländern, in denen eine so neoliberale Politik gemacht wird, dass unsere Wirtschaftsflügelvertreter dort wie ein paar Altlinke wirken würden.

Das Thema Mindestlohn ist auch in der Großen Koalition umstritten. Wie sieht die junge CDA die Rollenverteilung in Berlin: Die CDU vertritt Wirtschaftsinteressen, die SPD ist das soziale Gewissen?

Dieser Eindruck darf auf keinen Fall entstehen. Schauen sie sich die Arbeit von Familienministern Ursula von der Leyen an. Es ist vorbildlich, was nun für Familien angestrengt wird. Dies ist ohne Zweifel ein wichtiges soziales Themenfeld – und ohne Zweifel gehört Frau von der Leyen ja der CDU an. Allgemein brauchen wir als Union aber wieder eine stärkere Verwurzelung in sozialen Themenfeldern, um auch wieder bessere Ergebnisse bei Wahlen erzielen zu können. Die CDA darf innerhalb der CDU nicht zum einsamen Rufer in der Wüste werden. Ich bin aber optimistisch, dass wir als CDA da was auf den Weg bringen können.

Wie ist die Stimmung an der CDU-NRW-Basis nach 100 Tagen Angela Merkel – wie zufrieden sind Sie mit der Bundeskanzlerin?

Frei nach Vizekanzler Franz Müntefering: Partei gut. Kanzlerin gut. Stimmung gut. Der Start hätte besser nicht sein können: souveräne Auftritte im Ausland, Angela Merkel gelöst und locker wirkend wie nie zuvor. Viele haben ihr das nicht zugetraut. Ich bin zufrieden. Ich hoffe, dass wir alle diese gute Stimmung beibehalten, wenn die innenpolitischen Minenfelder wie etwa die Gesundheitspolitik betreten werden.

INTERVIEW: MARTIN TEIGELER