Die Zeche für die Politik zahlen wieder einmal Alte und Arme

JAPAN Die Wähler werden am Sonntag wohl den konservativen Regierungschef Shinzo Abe stärken

Höhere Staatsausgaben und eine hyperexpansive Geldpolitik gegen die Deflation

AUS TOKIO MARTIN FRITZ

Shinzo Abe will die abgeschalteten Atomkraftwerke hochfahren und die pazifistischen Beschränkungen der Verfassung abschaffen. Beide Vorhaben werden von über 50 Prozent der Japaner abgelehnt. Abes Wirtschaftspolitik verteuert über die Abwertung des Yen die Lebenshaltung, begünstigt die Konzerne und entwertet die Sparvermögen der Senioren. Laut Meinungsumfragen wird Abes Regierungskoalition dennoch die Oberhauswahl am Sonntag klar gewinnen. Aber der 58-jährige Regierungschef, der seit Ende Dezember im Amt ist, bringt den Wählern zwei Dinge, die sie seit Langem schmerzlich vermissen: Das eine ist politische Stabilität, das andere ein solider Wirtschaftsaufschwung.

In den vergangenen sieben Jahren wurde Japan von sieben Premierministern regiert und trat dabei auf der Stelle. Einer davon war Abe selbst, der wegen einer Wahlniederlage und einer Krankheit schon nach einem Amtsjahr das Handtuch werfen musste. Bis heute habe er deswegen ein schlechtes Gewissen, gestand Abe. Der Wahlsieg soll sein Trauma heilen. Wenn seine Liberaldemokratische Partei (LDP) und ihr Partner, die Neue Komeito, wie erwartet die Mehrheit in der zweiten Parlamentskammer erringen, hätte der Premier drei Jahre lang freie Hand für seine Reformen. Erst 2016 wird in Japan wieder gewählt.

Den Reformstau will Abe mit der radikalen Wirtschaftsstrategie der „Abenomics“ überwinden, die in völligem Gegensatz zur EU-Sparpolitik steht: Höhere Staatsausgaben und eine hyperexpansive Geldpolitik sollen die Deflation beseitigen und die japanische Währung schwächen. Zugleich will Abe die Verkrustungen in Wirtschaft und Verwaltung aufbrechen und so das Wachstum nachhaltig steigern. Die Anfangserfolge haben die Wähler beeindruckt: Von den G-7-Volkswirtschaften wächst Japan derzeit am stärksten. Die Verbraucher sind erstmals wieder so gut gelaunt wie vor der Finanzkrise, das Geschäftsklima hat sich drastisch verbessert.

Erst langsam sind in Japan kritische Stimmen zu hören. So wird Abenomics inzwischen als „Ahonomics“, zu Deutsch „Narrenwirtschaft“, verballhornt, da die Armen und Alten die Zeche zahlen. Der schwache Yen erhöht zwar die Gewinne von Exportriesen wie Toyota. Aber kleine Firmen leiden unter steigenden Importpreisen für ihr Rohmaterial. Hunderte Lastwagenfahrer demonstrierten kürzlich vor der LDP-Zentrale gegen die Verteuerung von Diesel. Damit die Deflation wirklich verschwindet, müssten auch die Löhne steigen. Außer höheren Boni wollen die Firmen aber nicht mehr zahlen. Zugleich würde die angestrebte Inflation von 2 Prozent die Rentner treffen: Ihr Erspartes wird entwertet. Die moderaten Preisrückgänge der letzten fünfzehn Jahre sicherten dieser Gruppe hohe Realzinsen auf ihre Sparvermögen. Doch die schwache Binnenkonjunktur und der starke Yen haben viele Konzerne an den Rand des Abgrunds gebracht. Daher nimmt Abenomics keine Rücksicht mehr auf die Senioren, obwohl sie über ein Drittel der Wahlberechtigen stellen.

Allerdings könnte ein hoher Wahlsieg den rechtskonservativen Abe dazu verführen, sich doch seinem Lieblingsprojekt einer Verfassungsreform zu widmen. Der Kriegsverlierer Japan soll endlich ein modernes Land werden, das ohne Einschränkungen über seine Streitkräfte bestimmen kann. Aber Abe möchte auch die Kriegsschuld relativieren und Kriegsverbrechen unter den Teppich kehren. Das könnte den Inselstreit mit China verschärfen und den wirtschaftlichen Aufschwung jäh stoppen.