Mit Verzweiflungsaktionen gegen Unigebühren in NRW

Nicht nur in Bielefeld gehen Studenten mit Besetzungen der Rektorate gegen das Bezahlstudium vor. Wuppertaler Rektor Ronge nennt Vorgehen Freiheitsberaubung

„Wir sehen vor Ort keineandere Möglichkeit des Protests mehr gegen die Einführung von Studiengebühren“

Hans-Martin Kruckis müht sich um Gelassenheit. Er sitzt in einem provisorisch eingerichteten Arbeitszimmer, der Schreibtisch ist nur mit dem Nötigsten ausgestattet. Seit 1. Februar kann der Mitarbeiter der Universität Bielefeld sein Büro nicht betreten. Aber es ist kein Ver.di-Streik, der Kruckis blockiert, es sind Studenten. 30 bis 60 von ihnen halten das Rektorat besetzt. So wollen sie die bevorstehende Einführung von Studiengebühren noch verhindern.

Mitte März wird der Landtag in Nordrhein-Westfalen über das „Gesetz zur Sicherung der Finanzierungsgerechtigkeit im Hochschulwesen“ abstimmen. Es ermöglicht den Hochschulen in NRW, ab Oktober 2006 von jedem Studienanfänger bis zu 500 Euro pro Semester zu kassieren. Ab dem Sommersemester 2007 müssten dann auch die anderen Studierenden zahlen. Die Entscheidung liegt allerdings bei den Universitäten selbst, deshalb konzentrieren sich die Studentenproteste nicht auf die Landespolitik in Düsseldorf, sondern auf die einzelnen Hochschulen. Diese bereiten sich auf ihre neue Einnahmequelle vor. Auf gebührenfreundliche Senatsbeschlüsse in Bielefeld und Paderborn reagierten Studierende mit „Hausfriedensbruch“.

Auch die Studenten üben sich in Improvisation. Von der Kochplatte bis zum Feldbett auf dem Gang erinnert hier einiges an Survival-Urlaub. Die Besetzer sind streng basisdemokratisch organisiert, Entscheidungen werden nur vom Plenum getroffen. „Wir funktionieren halt nicht so wie das Rektorat,“ sagt Jean-André Flöring. Der 23-jährige Soziologiestudent gehört zur Öffentlichkeitsgruppe der Besetzer. Obwohl die Atmosphäre weitgehend friedlich ist, sind die Fronten verhärtet. Es gibt wenig Spielraum zwischen Ja und Nein zu Gebühren. Die Besetzer sind laut Flöring jedenfalls entschlossen, „so lange zu bleiben wie nötig“. In einer Resolution fordern sie den Rücktritt des Rektors Dieter Timmermann, weil er nicht im Interesse der Studis handele.

Auch in Paderborn wurde das – inzwischen wieder frei gegebene – Rektorat besetzt. Die Besetzer wurden aus dem nahe gelegenen Bielefeld organisatorisch unterstützt. „Wir sahen keine andere Möglichkeit des Protests mehr“, rechtfertigt einer der Besetzer die Aktion. Er möchte lieber ungenannt bleiben.

Immerhin durften die Angestellten in Paderborn ihre Akten aus den Büros holen. Dort seien inhaltliche Gespräche mit den Besetzern möglich, unter anderem ginge es um Härtefallregelungen und alternative Räumlichkeiten für den studentischen Protest, berichtet Unisprecher Tibor Werner Szolnoki.

Die Besetzungen zeitigen erste Wirkung. In Dortmund und Wuppertal, wo konkrete Gebührenpläne eingebracht worden waren, erzwang die massive Präsenz von Studenten dazu, die Entscheidungen aufzuheben. An der Uni Dortmund wurde ein Arbeitskreis eingesetzt, in dem Professoren und Studenten gleichberechtigt vertreten sind. Das sei wenigstens ein kleiner Erfolg, sagt AStA-Vertreter und Senatsmitglied Nils Fonteyne.

Doch „aufgeschoben ist nicht aufgehoben“ gilt in Dortmund offenbar auf zweifache Weise. Fonteyne deutet an, seines Wissens sei eine Gruppe von Studenten bereits logistisch auf die Besetzung des Rektorats vorbereitet gewesen. Es habe einen regen Austausch mit Paderborn und Bielefeld gegeben. In den Semesterferien gestalte es sich aber schwierig, Studenten zu mobilisieren, so Grothe weiter. Kein Zufall also, dass das Studienbeitragsgesetz mitten in der vorlesungsfreien Zeit verabschiedet werden soll.

An der Uni Bielefeld wurde zuletzt eine Veranstaltung mit Wissenschaftsminister Andreas Pinkwart (FDP) abgesagt, weil massive Proteste befürchtet wurden. Der Vorsitzende der Rektorenkonferenz in Nordrhein-Westfalen, Volker Ronge, bezeichnet das Vorgehen der Bielefelder Besetzer im Gespräch mit der taz unerträglich. Das sei „ein Ausmaß an Freiheitsberaubung, das nicht zu legitimieren ist“. Ein Ende der Besetzungen ist unterdessen nicht in Sicht.

MAIK BIERWIRTH