Für eine Flasche Brause

Drinnen beim Discounter: „Die Billigheimer“ (SWR, 20.15 Uhr) wirft ein Schlaglicht auf die Arbeitswelt bei Lidl & Co.

Warum ist die Milch bei Lidl eigentlich so billig? Keine Ahnung, sie jedenfalls kaufe beim Discounter, weil dort das Gemüse genauso frisch sei wie „draußen“, sagt gleich zu Beginn des Films eine Kundin – und trifft damit ins Schwarze. Denn es gibt, daran lässt Mirko Tomics Doku über das Innenleben von Aldi, Lidl, Netto, Schlecker & Co. keinerlei Zweifel, einen fundamentalen Unterschied zwischen den Bedingungen „drinnen“ und der normalen Arbeitswelt da draußen.

Anzeigen wegen Nötigung der fast durchweg weiblichen Mitarbeiterinnen. Drangsalierung von Angestellten, die sich für Arbeitnehmerrechte einsetzen. Filialschließung wegen Betriebsratsgründung. Anzeigenboykott gegen Zeitungen, die über solche Konflikte berichten: Der handwerklich so sauber wie konventionell gemachte Film fasst noch mal zusammen, was in Einzelportionen in den vergangenen zwei Jahren aus dem Reich der Billig-Milliardäre an die Öffentlichkeit drang.

Tomic gelingt es dabei, die oft reichlich formale Kost aus Arbeitsgerichtsverfahren und Gewerkschaftsprosa in TV-Bilder umzusetzen, die passen. Der Film schafft es sogar, hier und da die Repräsentanten dieser verschwiegenen Handelsmächte zu zeigen. Sagen tun sie vor laufenden Kameras natürlich nichts. Doch es bleiben die kurzen Gesten oder die Visage von Drogerie-Queen Christa Schlecker, mit der sie – vom SR-Team beim Einstieg ins Luxus-Coupé gestellt – das Ansinnen auf ein Interview mit Abscheu zurückweist. Gerade diese kleinen Szenen erklären mehr als viele Worte.

Besonders abscheulich: Die offenbar bei fast allen Unternehmen geübte Praxis, MitarbeiterInnen wegen angeblicher Produkt-Diebstähle und eigenmächtiger Griffe in die Kasse zu drangsalieren, ihnen Rechtsbeistand zu verweigern und sie umgehend zur eigenen Kündigung zu zwingen. Oft zur Einschüchterung für Menschen, die den Mund im Betrieb aufmachen oder die schlicht aufgrund ihres Alters und langer Betriebszugehörigkeit zu viel verdienen. Da reicht schon die Behauptung, eine Kassiererin habe sich an einer Flasche Brause vergriffen. Bei willfährigen Notaren warten dann schon die fertigen Papiere. In ganz dreisten Fällen inklusive Schuldverschreibung, bei denen die Geschassten auch noch einige hundert bis mehrere tausend Euro zur „Wiedergutmachung“ ans Unternehmen zahlen sollen, vom Arbeitslosengeld.

Damit die Milch weiter billig bleibt. Oder, wie es ein anderer Kunde formuliert: „Das Gewissen schaltet sich ab, wenn’s um Geld geht.“ STEFFEN GRIMBERG