Wut unter Sowetos Blechdächern

In Südafrika waren die Zeiten für linke Opposition noch nie so gut wie bei den heutigen Kommunalwahlen. In den Townships dürfte sich der Frust über die andauernde Armut und die nicht gehaltenen Versprechen der ANC-Regierung entladen

AUS SOWETOMARTINA SCHWIKOWSKI

Die Hacke saust nieder und haut den blauen Deckel des Wasserzählers ab. Dann landet sie auf dem Plastikgehäuse und öffnet den grauen Apparat. Im Vorhof des einfachen Steinhauses in Sowetos Viertel White City reißen die beiden Jungs vom „Soweto Crisis Comittee“ die Rohrstücke aus dem Zähler heraus, verbinden sie direkt mit der Wasserleitung in der Erde und schon fließt das Wasser wieder – ohne Zähler.

Die Freiwilligen vom Krisenkomitee, die durch Johannesburgs größtes Township ziehen, setzen nicht nur die Wasseruhren von „Johannesburg Water“, das 20.000 Liter mit umgerechnet 7,20 Euro berechnet, außer Betrieb, sondern auch die Stromzähler des staatlichen Elektrizitätsgiganten „Eskom“. Das Zählersystem, das Strom und Wasser erst freischaltet, wenn eine im Voraus bezahlte Karte im Zähler steckt, ist für die meisten Menschen in Südafrikas Townships zu teuer. Und vor Südafrikas heutigen Kommunalwahlen steigt der Unmut unter den Townshipbewohnern darüber, dass ihre Lage sich nicht endlich verbessert.

Einen „Krieg niedriger Intensität“ gegen die ANC-Regierung führt das „Soweto-Krisenkomitee“ nach den Worten ihres radikalen Anführers Trevor Ngwane. „Wasser und Elektrizität zählen zu den Grundbedürfnissen“, sagt der Mann mit den Rasta-Locken, der früher für den Afrikanischen Nationalkongress (ANC) im Stadtrat saß. Der ANC feuerte ihn: „Die Regierung tanzt zur Musik der Wirtschaftsbosse, und bevor die Massen Häuser und Strom erhalten, muss erst ein Kapitalist Profit machen“, kritisiert Ngwane heute Präsident Thabo Mbekis Politik.

Illegale Strom- und Wasseranschlüsse gehören bei Ngwane zur Wahlpropaganda. Heute kandidiert er in Soweto für „Operation Khanyisa Movement“ (Operation Aufklärung). Nie waren die Zeiten so gut für kleine linke Oppositionsparteien in Südafrika. Vom Aufschwung seit Ende der Apartheid 1994 profitieren in erster Linie die Reichen und Angehörigen der – auch schwarzen – Mittelschicht.

„Wo sind die Häuser, die freie Erziehung für alle, die Mandela uns versprochen hat?“, fragt Malvin Nkasela in seiner wellblechgedeckten Wohnhütte in Motsoaledi, einer sehr vernachlässigten Siedlung des riesigen Soweto. Auch dieser 40-Jährige tritt für „Operation Khanyisa“ an, um „die Fehler der Regierung zu korrigieren“ und für freie Lieferung von Wasser und Strom zu kämpfen. Unter seinem Blechdach hängt nicht mal eine Glühbirne – abends brennt eine Paraffinlampe. Nkasela schlägt sich mit Hilfsjobs durch. Im Schnitt bringt er umgerechnet 27 Euro im Monat nach Hause, was für sechs Familienmitglieder reichen muss. Dazu rechnet er noch 106 Euro Rente seiner Mutter, die in einem kleinen Wellblechraum nebenan lebt.

Die 66-jährige Rentnerin kommt gerade vom neben Bergen von Müll gelegenen gemeinschaftlichen Wasserhahn, der die Behausungen in Motsoaledi versorgt. Sie balanciert einen Eimer Wasser auf dem Kopf. Monica Nkaselas Bilanz von elf Jahren ANC-Regierung lautet: „Ich habe genug von diesem Quatsch.“ Ärgerlich zeigt sie auf das Papier mit dem Strich-Code an der Brettertür ihrer Hütte: „Wir stehen seit zehn Jahren auf der Warteliste für ein Haus – wir sind registriert, aber nichts passiert!“ Die politischen Führer hätten sie betrogen. „Sie fahren große Autos und trinken teuren Whisky. Wir dagegen haben kaum zu essen und bei starkem Regen werden unsere Häuser weggespült.“

Der Frust in den Townships entlädt sich häufig in Straßenprotesten. Kurz vor den Wahlen versprach Präsident Mbeki, die Basisversorgung der Armen zu verbessern. Er kündigte an, bis nächstes Jahr überall Wassertoiletten zu bauen, jedes Haus bis 2010 mit Wasser und bis 2012 mit Strom zu versorgen. Finanzminister Trevor Manuel erklärte, 2006 sei das Jahr des Überflusses, von dem alle Südafrikaner die Früchte des Wirtschaftswachstums (5 Prozent) ernten sollen. Mit einem Haushaltsüberschuss von 42 Milliarden Rand im vergangenen Jahr (5,7 Milliarden Euro) bot er 23 Milliarden Rand Zuschüsse für 500.000 neue Häuser in den nächsten drei Jahren und 1.500 neue Jobs pro Tag.

Der ANC ließ seit Amtsantritt 1994 1,7 Millionen Billighäuser bauen – kleine Schachtelhäuser, oft von schlechter Qualität. Heute fehlen noch knapp drei Millionen. Das Erbe der Apartheid ist nicht zu unterschätzen, aber auch in den Kommunalverwaltungen hapert es: Budgets werden nicht ausgegeben, Vetternwirtschaft ist verbreitet.

Südafrikas Regierung ist die einzige der Welt, die den Armen kostenlose Häuser verspricht, sagt Frans Cronje vom südafrikanischen Institut für Rassenbeziehungen. „Das wirkliche Problem sind fehlende Arbeitsplätze, dann könnten die Menschen ihr eigenes Leben verbessern.“ 40 Prozent der Südafrikaner sind arbeitslos. Die Blechhütten werden nie verschwinden, solange immer mehr Menschen auf Arbeitssuche vom Land in die Townships ziehen, meint Cronje. Die Proteste der Armen werden daher zunehmen, glaubt er. Laut Meinungsumfragen wird der ANC trotzdem die Wahl gewinnen, weil es keine starke Opposition mit klarer Botschaft gibt.