Entschädigung für Haft nach 9/11

In den USA erhält der erste Kläger 300.000 Dollar Entschädigung wegen irrtümlicher Haft nach dem 11. September 2001. Doch kein offizielles Schuldanerkenntnis

US-Regierung: Besondere Umstände stellen Recht des Staates über das des Einzelnen

WASHINGTON taz ■ Einst betrieb er ein kleines Restaurant am New Yorker Times Square und einen sonntäglichen Flohmarkt im Stadtteil Queens. Doch am 30. September 2001, knapp zwei Wochen nach den Terroranschlägen auf das World Trade Center und das Pentagon, wurde der Ägypter Ehab Elmaghraby in seinem Apartment verhaftet.

Das FBI hatte gegen seinen Vermieter ermittelt, einen Muslim, der Jahre zuvor eine Pilotenausbildung beantragt hatte. Elmaghraby wurde anschließend von Oktober 2001 bis August 2002 im Bundesgefängnis von Brooklyn inhaftiert, misshandelt und schließlich ohne juristisches Verfahren im August 2003 des Landes verwiesen.

Er und ein pakistanischer Schicksalsgenosse sind nun die beiden ersten Opfer der massiven Verhaftungswelle, welche die muslimischen Gemeinden der USA nach dem 11. September 2001 überrollte und denen die amerikanische Regierung eine Entschädigung zugesprochen hat. 300.000 Dollar haben Vertreter der US-Regierung dem Kläger Elmaghraby in einem Vergleich angeboten, der noch von dem Vorsitzenden Richter in Brooklyn genehmigt werden muss. Die Klage des Pakistaners ist noch in Verhandlung.

Mit der Zahlung erkenne die US-Regierung allerdings keinerlei Schuld an, hieß es am Montag nach der Bekanntgabe. Laut Gerichtsprotokoll, aus dem die New York Times gestern zitierte, sagten die Regierungsvertreter aus, dass die Attacken des 11. September 2001 „besondere Umstände“ geschaffen hätten, die das Recht des Staates, zukünftige Terroranschläge zu verhindern, über das individuelle Recht der Klagenden stelle.

„Eine Einigung wie die für Herrn Elmaghraby stellt keinen Präzedenzfall dar“, sagte Gerald Neumann, Juraprofessor und Menschenrechts-Experte an der Columbia-Universität. „Das bedeutet nicht, dass die US-Regierung künftige Klagen in dieser Sache ebenso beschließen wird“, meinte Neumann, der selbst nicht mit dem Fall befasst ist.

Die Anwälte der beiden Kläger bezeichneten das Resultat vom Montag als „signifikant“. Erstmals gäbe es Anzeichen dafür, dass die US-Regierung für die Misshandlung von Menschen in den Gefängnissen von Abu Ghraib, Guantánamo und selbst in Justizvollzugsanstalten in den USA verantwortlich gemacht werden könne, sagte einer der Anwälte, Alexander Reinert.

Kürzlich hatten weitere ehemals Verhaftete, allesamt keine US-Staatsbürger, eine Sammelklage gegen die US-Regierung bei ebenjenem Gericht in Brooklyn eingereicht. Ein Verhandlungstermin ist noch nicht bekannt.

In der Klage des Elmaghraby-Verfahrens wird dem damaligen US-Staatsanwalt John Ashcroft, dem ehemaligen FBI-Direktor Robert Mueller und weiteren hohen US-Beamten vorgeworfen, persönlich die Rechte muslimischer Immigranten verletzt und sie aufgrund ihrer Rasse, Religion und Herkunftsländer misshandelt zu haben.

Tatsächlich hatte ein umfassender Regierungsbericht aus dem Jahr 2003 weit verbreitete Missstände aufgeführt. Seitdem sind rund ein Dutzend Mitarbeiter der betreffenden Vollzugsanstalten in Disziplinarverfahren verurteilt worden. Von den nach dem 11. September inhaftierten mehreren hundert Migranten aus muslimischen oder arabischen Ländern wurde kein einziger wegen terroristischer Aktivitäten angeklagt.

ADRIENNE WOLTERSDORF