Wir müssen laut und kreativ sein

Behinderte haben keinen Zugang zu Politik. Auch weil viele von ihnen kein Interesse daran haben

VON CHRISTIAN SPECHT

Es hakt mit der Inklusion. Das fängt in der Politik an. Es gibt sehr wenige Behinderte, die an Politik teilnehmen. Viele Behinderte interessieren sich nicht für Politik. Viele Behinderte wissen gar nicht, was Politik ist. Es gibt Behindertenbeiräte in den Bezirken. Aber die haben kaum was zu sagen, deshalb sind da auch kaum Leute drin. Die dürfen dann mal was sagen, wenn es um die Barrierefreiheit einer Straße geht, und das war’s dann auch schon.

So kommt es, dass immer über Behinderte gesprochen wird. Auch bei den Grünen ist das so. Und bei der SPD. Letzte Woche hat die SPD ihr Bundestagswahlprogramm in leichter Sprache an Behinderte verteilt. Gut. Aber warum gibt es auf der Straße keine Plakate? Damit die Leute, die Nichtbehinderten, sehen, dass da was gemacht wird. Da könnte draufstehen: „Wir setzen uns dafür ein, dass Behinderte in den ersten Arbeitsmarkt kommen und in Aufsichtsräte.“ Aber da wollen sie nicht ran an die Berührungsängste. Die Leute könnten ja sagen: „Oh nein, das wollen wir nicht sehen, nicht die Behinderten.“

Jeder macht sein Ding

Das Problem ist aber auch, dass es keine richtige Behindertenbewegung gibt, die sagt: So wollen wir das nicht; die selbst ihre Plakate aufhängt und was tut, damit die Berührungsängste weniger werden. Da macht jeder sein eigenes Ding. Die „behindert und verrückt feiern“-Parade am Samstag war sehr interessant. Da waren keine Parteien, die das Thema für sich vereinnahmen. Das sind Leute, die was machen wollen, die unzufrieden sind mit der Politik und den Politikern. Wie damals die Krüppelbewegung [Protestbewegung vorwiegend Körperbehinderter, hauptsächlich in den 1980ern und 1990ern aktiv; Anm. d. Red.]. Die waren laut, die haben erreicht, dass Behinderte ins Grundgesetz kommen. Aber dann ist das eingeschlafen. Ist es nicht Zeit, dass etwas Neues entsteht? Eine Bewegung, die sich nicht in Hinterzimmern versteckt und nichts tut; die sich nicht von Politikern vereinnahmen lässt; die ihre eigene Partei gründet. Die wieder rausgeht und laut ist und kreativ. Das ist die Hoffnung.

■ Christian Specht ist Mitglied im Behindertenbeirat Kreuzberg, er setzt sich für Behindertenvertreter in den Medien ein und hat einen Schreibtisch in der taz. Der Kommentar wurde protokolliert