Die Drohung der Doktoren

Die Hälfte der Arztpraxen zu, 7.000 Demonstranten auf der Straße und ein angedrohter Kassenrezept-Boykott: NRWs Ärzteschaft wehrt sich gegen das neue Arzneimittelspargesetz

VON MIRIAM BUNJES

In Dortmund demonstrierten 3.500, in Bielefeld und Arnsberg je 1.000 und in Gelsenkirchen rund 350 ÄrztInnen und ArzthelferInnen. Gestreikt haben noch mehr: Über die Hälfte der Arztpraxen blieben in NRW zum politischen Aschermittwoch geschlossen. „Das Fass ist übergelaufen“, sagt Klaus Reinhardt, Vorsitzender des Hartmann-Bundes, eines der vier freien Ärzteverbände, die zur Protestaktion aufgerufen hatten. „Die Ärzte in NRW sind frustriert und zu Protestformen bereit, die Deutschland so noch nicht erlebt hat.“

Das sprichwörtliche Tröpfchen ist eine Vorschrift im Arzneimittelversorgungs-Wirtschaftlichkeitsgesetz, das in der vergangenen Woche beschlossen wurde. ÄrztInnen werden durch einen Honorarabschlag bestraft, wenn sie zu teure Medikamente verordnen. Verschreiben sie günstige Arzneien, erhalten sie eine Prämie von den Krankenkassen.

„Wir werden künftig für Preise verantwortlich gemacht, die wir nicht ausgehandelt haben“, sagt Reinhardt. ÄrztInnen würden durch die so genannte Bonus-Malus-Regelung täglich zwischen dem Zwang zur Wirtschaftlichkeit und ihrer Berufsethik zerrieben. „Wir können den Patienten mit diesem Gesetz nicht immer das beste Medikament verschreiben.“ Chronisch Kranke, die täglich auf teure Medikamente angewiesen seien, würden zu einer Existenzbedrohung. „Wir wollen Patienten nicht aus dieser ökonomischen Sicht wahrnehmen müssen“, sagt Reinhardt. „Die noch kommenden Reformen werden diese Sicht noch verstärken.“ Die DemonstrantInnen verlangen deshalb, in den Gesetzgebungsprozess eingebunden zu werden.

Auch Martin Junker, Vorsitzender des Verbands niedergelassener Ärzte Westfalen-Lippe (NAV Virchow-Bund) glaubt, dass mit der Gesetzesänderung besonders die Schwerkranken schlechter versorgt – und aus Kostengründen auch von Praxen abgewiesen – werden. „Die Ärzte haben das Gesetz nicht gemacht“, sagt Junker. „Wir wollen den Schwarzen Peter nicht.“

Der westfälische Virchowbund, in dem über 500 niedergelassene Ärzte organisiert sind, will die Verantwortung für die Medikamentenverschreibung deshalb an die Krankenkassen weiterschieben. Geplant ist ein Kassenrezept-Boykott. „Bleibt das Gesetz, verschreiben wir Medikamente nur noch auf Privatrezept oder stempeln den Zusatz ‚Zur Überprüfung bei den Krankenkassen‘ darauf“, sagt Martin Junker. „Die Krankenkassen sollen entscheiden, welches Medikament für welchen Kranken angemessen ist.“

Das Bundesgesundheitsministerium und die Kassenärztlichen Vereinigungen halten den Boykott für illegal. „Da kommen saftige Schadensersatzforderungen auf die Ärzte zu, die da mitmachen“, sagt Andreas Deffner, Sprecher der Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt (SPD). Und auch der Bundesverband des NAV-Virchowbundes distanziert sich. „Wir verstehen die Kritik“, sagt Verbandssprecher Klaus Greppmeir. Privatrezepte müsse aber zuerst der Patient zahlen, der dann auch den Ärger mit der Rückerstattung habe. „Das ist eine Einzelaktion.“

Die Kassenärztliche Vereinigung (KV) Westfalen-Lippe setzt stattdessen auf eine Einigung mit den Krankenkassen auf Landesebene. Eine Möglichkeit, die auch das Gesetz vorsieht – vorausgesetzt die ÄrztInnen des abweichenden Bundeslandes halten die Sparvorgaben ein. „Vielleicht können wir die Bonus-Malus-Regelung für NRW kippen oder sehr abschwächen“, sagt KV-Sprecher Andreas Daniel. „Wir verhandeln zur Zeit mit den Landesverbänden der Krankenkassen und es sieht gut aus.“