Frei zum Abschuss

Ist der Kormoran wirklich so schlimm wie sein Ruf? In Schleswig-Holstein geht es ihm jetzt an den Kragen

Vögel haben es zurzeit nicht leicht: Krähen gelten als Touristengrämerinnen, seltene Wiesenvögel als Bauernmörder, und die gesamte gefiederte Sippschaft steht unter Generalverdacht, todbringende Viren zu streuen. Da passt es bestens ins Bild, dass Schleswig-Holsteins Landwirtschaftsminister nun seine Kormoranverordnung endgültig verabschiedet hat – allen Protesten zum Trotz.

Die Regelung besagt, dass die Wasservögel von August bis Ende März abgeschossen werden dürfen. Sie gilt für Küsten- und andere Gewässer, die von Erwerbsfischern bewirtschaftet werden. Jungvögel, die sich bei „Teichwirtschaftsbetrieben“ aufhalten, dürfen sogar ganzjährig erlegt werden. Ziel sei „nicht die Ausrottung der Kormorane“, betonte der Minister, was immerhin beruhigend ist. Allerdings ginge es um „die Vermeidung erheblicher fischereiwirtschaftlicher Schäden“.

Dass die Kormorane tatsächlich so große Schäden anrichten, bezweifeln Fachleute. Die Grünen hatten bereits vor Wochen Studien vorgelegt, nach denen sich in Speiseballen der Vögel nur selten Edelfische wie Aale finden (taz nord berichtete).

Das Tauziehen um die Kormoranverordnung dauerte Monate. Unter anderem war der Landesnaturschutzbeauftragte wegen dieser Verordnung Anfang des Jahres zurückgetreten. Für Ärger sorgt sie auch zwischen den Koalitionspartnern: „Unsere Zweifel bleiben bestehen“, erklärte Sandra Redmann, umweltpolitische Sprecherin der SPD. Die Sozialdemokraten fragen sich unter anderem, ob mit der neuen Regelung Bürokratie abgebaut wird und wie sich der Abschuss der Kormorane auf andere Tierarten auswirken werde. Starke Kritik kommt von der Partei der dänischen Minderheit, dem Schleswig-Holsteinischen Wählerverband SSW: „Hier wird einmal mehr Politik aus dem Bauch gemacht“, sagte deren umweltpolitischer Sprecher Lars Harms. Schon nach dem alten Recht konnten einzelne Vögel abgeschossen werden, wenn sie in Teichen wilderten. „Die pauschale Lizenz zum Töten beruht auf Vorurteilen und ist fachlich nicht zu begründen.“

Der Kormoran sei zu Unrecht verfemt, meinte der Umweltexperte der Grüne, Karl-Martin Hentschel. Er nahm Landschaftsminister Christian von Boetticher in Schutz: Der sei offenbar „wider besseres Wissen“ gezwungen worden, die Verordnung durchzudrücken: „Peter Harry Carstensen drängt auf Abschuss.“ Denn schließlich pflegt Schleswig-Holsteins Landesvater das edle Hobby des Waidwerks.

Esther Geißlinger