Eine Weddinger Katharsis

Ausgerechnet die Sitcom „Gutes Wedding, schlechtes Wedding“ poliert das Image des Bezirks auf. Sie ist so erfolgreich, dass die MacherInnen in ein größeres Theater wechseln: Denn die Weddinger lieben es, wenn ihnen der Spiegel vorgehalten wird

VON WALTRAUD SCHWAB

Es ist schon vorgekommen, dass eine ganze Weddinger Fußballmannschaft geschlossen ins Prime Time Theater ging. Nicht in die Sauna, nicht auf die Kegelbahn, nicht in die Kneipe: ins Theater. Spaß hatten sie dort. „Prolls, die sind wie Kinder. Von denen bekommt man sofort ein Feedback“, sagt Oliver Tautorat, Held vieler Rollen. Das soll aber nicht heißen, dass Weddinger Fußballer ungebildet sind.

Und nicht nur Kicker kommen in das Theater, um sich ein Stück in Echtzeit anzusehen: Auch Imbissverkäufer und Kleingärtnerinnen waren schon bei Tautorat, seiner Partnerin Constanze Behrends und dem Rest der Truppe. Sie lachten sich kaputt, wenn Kalle, der Postbote, von seinem Kampf gegen die Tücken des Alltags erzählt. Sie amüsierten sich darüber, dass Mahmut permanent Handys verliert, die Arbeitsvermittlerin Frau Schinkel die Contenance und Kiezschlampe Sabrina den Überblick.

Seit zwei Jahren läuft die Sitcom „Gutes Wedding, schlechtes Wedding“. Im Prime Time Theater werden die fantastischen Lebensgeschichten von Kalle, Murat, Sabrina, Nicol, Frau Schinkel und wie sie alle heißen, hoch und runter dekliniert. Natürlich geht es um Liebe, um Sex, ums Ankommen in der Gesellschaft und ums Scheitern. Vor allem aber geht es ums Überleben in wirtschaftlich schlechten Zeiten.

„Wir leben mit den Figuren. Die Charaktere sind die Eckpunkte von uns selbst. Das macht einen ausgeglichen.“ Behrends versucht, das praktisch zu erklären: Wenn sie sauer auf ihren Oliver ist, falle sie in den Jargon der sächselnden Tyrannin Schinkel. Das sei kathartisch.

Nach Hochkultur klingt das nicht gerade. Aber das ist auch nicht der Anspruch von Tautorat und Behrends. Sie wollen das Einfache. „Klare Bilder. Sagen dürfen, was Sache ist. Den Leuten aufs Maul schauen“, fasst Tautorat zusammen. Für ein solches Ansinnen ist der Wedding ein guter Boden. Denn neben den Migranten und Migrantinnen hat hier auch das Alt-Berliner Proletariat überlebt. Kalle, der lispelnde Postbote mit Vokuhila-Frisur und Schnauzer, liiert mit Ulla, „nicht der klügsten“ – solche Figuren gibt’s im Bezirk noch in echt. Entweder man kapiere das, oder man werde weiter die Nase über den Bezirk rümpfen, meint Tautorat. Für den Wedding gilt: „Mögen oder nicht mögen – so was kriegst du hier sofort mit. Du kannst einen Weddinger nicht gegen den Strich bürsten. Du kannst ihn nicht prenzlauerbergisieren.“

Die Sitcom, für die die RTL-Soap „Gute Zeiten, schlechte Zeiten“ Pate stand und die immer – Prime Time eben – um 20.15 Uhr beginnt, hat bisher 36 Folgen. Zuletzt allerdings wurde die Folge Nummer 0 gegeben: „Bevor alles begann“. Für Einsteiger nicht schlecht. „Obwohl wir bei jeder neuen Folge gucken, dass die Neuen mitkommen.“

Umzug zu Frau Schinkel

Weil es immer mehr Neue werden, müssen Tautorat, Behrends und die ganze Crew zum zweiten Mal in zwei Jahren in ein größeres Domizil umziehen. Es liegt näher an den Wirkungsstätten einiger ihrer Figuren: gegenüber dem Arbeitsamt in der Müllerstraße. Frau Schinkel hat es jetzt nicht mehr weit. Außerdem gehört das Gebäude, in dem das Theater dann residiert, Rolf Eden. Bei dem war Kalle Türsteher, bevor er Postbote wurde.

Die letzte Vorstellung vor dem Umzug machte die Herzenssprache, die sich bei GWSW durchgesetzt hat, noch einmal deutlich. In dem Raum, der 80 eng zusammengepferchte Menschen fasste und den SchauspielerInnen immerhin eine einen Meter tiefe Bühne übrig ließ, wacht Murat auf und stellt fest, dass Eische in seinem Arm liegt. „Wie seh ich aus?“, fragt er. „Bisschen Haargel fehlt“, sagt eine Zuschauerin, die Murats Vorlieben schon kennt.

„Kannste mir geben“, sagt er. Die Frau steht auf und reicht ihm die Tube, die doch neben ihm steht. Tautorat, der Murat spielt, hat das Publikum damit schon in der Hand. Er drückt die halbe Tube aus und schmiert sich das Zeug ins Haar. „Ist besser?“, fragt er. Da lachen alle zum zweiten Mal. Haargel und Murat – das muss man sich merken – gehören zusammen wie Schuppen und Fisch.

Es war kein lichter Moment, in dem Eische, die natürlich von Behrends gespielt wird, bei Murat im Bett landete. „Was mach ich hier?“, fragt sie. „Ich glaub, du wachst auf.“ So nehmen Verwicklungen ihren Lauf. „Haben wir Tamtam gemacht?“, will sie wissen, denn ihr fehlt die Erinnerung an die Nacht. „Wir haben nicht getrommelt, sonst wären die Nachbar gekommen.“ Auf diese Art wird eingefädelt, was den Kennern der Soap gefällt.

Nach Eische – sie wird so geschrieben, „weil es sich um eine deutsche Eische handelt“ – wird Behrends noch Nicol sein und natürlich die Schinkel. Tautorat wird allerhand Deutschtürken spielen. Außerdem wird er – ein Muss – als Kalle berlinern. Nicht zuletzt aber mutiert er von Klaus Faber, dem Weddinger Metzger, zum Prenzelberger Claudio Fabrizio, dem Latte trinkenden angehenden Theaterressisseur. Seit diesem Verrat eines Weddingers an seinem Bezirk heißt die Bornholmer Brücke „Böse Brücke“. Sie verbindet, was nicht zusammengehört. Von dort, aus dem Prenzlauer Berg, kommen die Eingebildeten, die Veganen, die „Prenzelwichser“ eben. Das Wort soll angeblich aufs Konto des Prime Time gehen. Möglich wär’s.

Hey Alter, nasilsin?

Wer Tautorat sieht, nimmt ihm den türkischen Berliner ab. „Hey Alter, nasilsin – wie geht’s?“ Dabei ist Tautorat in Wirklichkeit Sohn einer griechischen Mutter. Anstatt von sich zu berichten, erzählt er von ihr. Dass sie eine echte Cineastin sei und sich immer den Soundtrack aufnehme, wenn sie im Fernsehen Filme sieht. Die Kassetten höre sie sich dann an, wenn sie, Putzfrau, die sie ist, die Gebietswinzergenossenschaft Franken schrubbt. Tautorat erzählt die Episode und lässt keinen Zweifel, dass es eine Hommage ist.

Auch die vergeblichen Mühen seines Vaters, Umwelttechniker und ewig scheiternder Erfinder, werden von ihm aufs Liebevollste benannt. Das ist bei Tautorat so: Er ist den Leuten zugewandt, nicht nur auf der Bühne. Auch am Einlass, wo er die Karten verkauft, oder hinter der Bar. „Alles klar?“ Er ist Meister der direkten Ansprache. „Es soll den Leuten gut gehen“, sagt der 32-Jährige.

Constanze Behrends Glück begann, als sie Tautorat kennen lernte. Der verstand ihren Humor. Die 25-Jährige – Berlins jüngste Theaterchefin – hat alle Texte der 36 Folgen geschrieben. „Eigentlich schreibe ich nur auf, was ich schon als Jugendliche lustig fand.“ Damals habe es niemand verstanden. Jetzt findet sich ein ganzer Berliner Bezirk in der Situationskomik der jungen Sächsin wieder.

Ein halbes Jahr nachdem Behrends die Schauspielschule beendete, hatte sie schon ein Theater im Wedding. Ende 2003 war das. 40 Leute hatten dort Platz. Die Bühne war acht Quadratmeter groß. Ihr Traum war es nicht: Sie hoffte auf ein Engagement, aber mit noch nicht einmal 23 Jahren ist das Leben nicht verstellt.

Tautorat, der damals eine ABM-Stelle hatte und den Hund in den „Bremer Stadtmusikanten“ spielte, war genauso offen für Neues. Ganz pragmatisch entwickelten sie mit der Sitcom ein Format, das sich schnell auf die Bühne bringen lässt und nicht ständig neu beworben werden muss. Zur Hand gehen den beiden ein Dutzend Leute, denen es mehr ums Dabeisein als um Geld geht. Als Nebendarsteller will sie Tautorat nicht bezeichnen, denn: „Bei uns gibt es nur Hauptrollen, weil es im Leben auch keine Nebenrollen gibt.“

Mittlerweile ist das Prime Time Theater eine Marke. Für den türkischsprachigen Berliner Sender TD 1 wurde ein Pilot, eine Versuchsepisode, erstellt. Hat sie Erfolg, kommt GWSW ins Fernsehen. Als die Sendung aufgenommen wurde, haben Tautorat und Behrends die Fans gleich mit ins Studio eingeladen. Neben so ernsthaften Angeboten stellen die TheatermacherInnen vermehrt Interesse an ihnen fest. „Ich bring euch groß raus.“ Solche Sätze hören sie nun öfter.

Dass man dem Theater allerdings keine Spielstättenförderung gewährt, mit der Begründung, es liefe doch gut, das Haus sei doch voll – das verletzt die Prime-Time-Leute schon. Tautorats Fazit ist wie immer pragmatisch: „Wenn du keine Förderung kriegst, musst du gut sein.“

Das Prime Time Theater spielt ab 3. März in der Müllerstraße 163 b. Die neue Staffel der Sitcom heißt „Ümzüge“. Alle weiteren Infos unter: www.primetimetheater.de