Kackmännchen bald Weinbauern?

Seit 25 Jahren gehört die endart Galerie zu Kreuzberg. Nun soll das Haus an der Oranienstraße verkauft werden.Weil endart-Betreiber Klaus Theuerkauf drastische Mieterhöhungen befürchtet, findet heute ein Benefizkonzert statt

Irgendwas in Kreuzberg muss doch auch weiterhin nach Kreuzberg aussehen, so wie „Spiegel“-Redakteure es sich vorstellen

Ingelheim liegt dort, wo der Rhein ein Knie hat, im Norden Rheinhessens, westlich von Mainz. Der Ort hat sich selbst den Kosenamen „Die Rotweinstadt“ gegeben, und außer der bekannten Pharmafirma „Boehringer Ingelheim“ findet man am Platze auch noch Europas größten Umschlagplatz für Sauerkirschen. Es gibt um die 25.000 Ingelheimer und -heimerinnen, davon sind nur süße 464 TürkInnen und magere 51 US-AmerikanerInnen. Warum ich Wikipedia und die Touristenhomepage bemüht habe? Weil der einzige mir bekannte Ingelheimer erzählte, dass Kreuzberg die Partnerstadt von Ingelheim am Rhein sei, und ich mal gucken wollte, was meine PartnerInnen so machen. (Sie trinken Wein, schlucken Pillen und essen Sauerkirschen.)

Der einzige mir bekannte Ingelheimer nennt sich Chicken und betreibt seit 25 Jahren eine Galerie in Berlin-Kreuzberg. Sie heißt endart und liegt auf der Oranienstraße. Früher bin ich manchmal neidisch an den großen Schaufenstern vorbeigeschlichen, weil drinnen zu jeder Tages- und Nachtzeit Männer hockten, die Bier tranken. Das sind eben echte Künstler, dachte ich stets. Einer von ihnen war immer Chicken, über den ich jetzt erst herausbekommen habe, dass er eigentlich Klaus Theuerkauf heißt – bestimmt ein echt ingelheimischer Name.

Im Laufe der Zeit traute ich mich langsam, selbst in der Galerie herumzulungern und Bier zu trinken. Ich guckte mir dabei unzählige Ausstellungen an: komische Kackmännchen, scheinbar von blinden Kindern gemalte Landschaften, derbe Sexskulpturen, küssende Polizisten und herzige Variationen zum Thema „Gladbecker Geiseldrama“; alle möglichen Kunstpimmel aus allen möglichen Materialien, Bilder von Funny van Dannen, von Stu Mead und Antje Fels, Fotos von Miron Zownir, Kunst von Thomas Kapielski, Max Müller und von Bruno S. Den hatte man manchmal am Telefon, wenn man bei endart anrief, und er notierte dann in wunderschöner altdeutscher Schrift die Nummer für Chicken. Ich bin auch längst nicht mehr sauer, dass Chicken, einer der Begründer des Oberkreuzberger Nasenflötenorchesters, mir damals untersagte mitzuspielen, weil er keine Frauen in der Band haben wollte. Nicht mal so umgängliche wie mich, mit eigener, sehr schön gearbeiteter Plastiknasenflöte in Pink-Grün und mit genug Rhythmus im Schnottenbereich für ganz lange Soli.

Also was soll der Blödsinn mit der drohenden Schließung? Auf meine ängstlichen Fragen hin verwies Chicken auf den Verkauf des Hauses an eine ominöse Rechtsanwälte-GBR, die höchstwahrscheinlich die Miete erhöhen würde. Im Juni könnte dann Schluss sein mit lustig. Er brauche Geld, sagte Chicken, denn die Rechtsanwälte hätten bestimmt eine andere Verwendung für die Räume mit der Treppe drinnen.

Das geht natürlich überhaupt nicht. Irgendwo muss ein Nasenorchester proben, irgendwo müssen Kackmännchen und Sexpraktikengemälde ausgestellt werden, irgendwo muss man nachts Dosenbier schnorren können. Und irgendwas in Kreuzberg muss doch auch weiterhin nach Kreuzberg aussehen, so wie Spiegel-Redakteure es sich vorstellen. Einem solchen Kreuzberg bleiben die Spiegel-Redakteure nämlich fern, aus Angst, ein Besoffener könne ihnen auf den Laptop pinkeln oder ein Läusepunkerhund das Parkgeld abjagen. Es ist demzufolge notwendig, dieses Kreuzberg zu erhalten. Im Original. So ungefähr wie das Bernsteinzimmer.

Als ich Chicken gerade einen Spendenaufruf in Richtung Ingelheim vorschlagen wollte, vielleicht mit einem manipulierten Hinweis auf die möglichen Rotweinanbaumöglichkeiten auf den sonnigen Kreuzberger Hängen und auf die ebenfalls mindestens 464 TürkInnen, erzählte er mir von dem Benefizkonzert. Das wird heute Abend mit Bands stattfinden, die alle schon in der endart gespielt und gefeiert haben. Wenn dabei allerdings nicht genug zusammenkommt, werde ich das Ingelheim-Konzept weiter ausarbeiten. JENNI ZYLKA

endart-Benefiz, heute, 22 Uhr, Maria am Ostbahnhof. Mit: Stereo Total, Cobra Killer, Boy From Brazil & dem Original Kreuzberger Nasenflötenorchester