Kunst-VIP Gast Öffentlichkeit

Die sonntägliche Matinee der Berliner Lektionen im Renaissance-Theater in Charlottenburg ist eine Art kultureller Sonntagsgottesdienst für Nichtkirchgänger, veranstaltet von den Berliner Festspielen. Entsprechend prominent sind die Vortragenden, die zu Themen und Fragestellungen aus Geschichte, Religion, Kultur und Gesellschaft sprechen. An diesem Sonntag trat nun der isländische Künstler Olafur Eliasson mit einem Laptop – aber glücklicherweise ohne Powerpoint-Präsentation – vor das erwartungsvolle Publikum. Seine von den Festspielen organisierte Einzelausstellung, die am 28. April im Martin-Gropius-Bau eröffnet, gab ihm Anlass, über seine Kunst, aber auch den Kunstbetrieb zu sprechen.

Mit Letzterem und seinen inzwischen üblichen dreifachen Ausstellungseröffnungen, für die Ganzganzwichtigen, die Ganzwichtigen und für den Rest, hat es zu tun, dass die Eröffnung im Gropius-Bau nur einmal stattfindet, dass jeder kostenlos hereindarf, und das bis in die späte Nacht. Denn Olafur Eliasson betrachtet die Berliner als die wahren VIPs, und er mag den Martin-Gropius-Bau als einen Ausstellungsraum, der noch kein „Brand“ der Kunstszene ist, keine ihrer Marken, die entsprechend mit Erwartungen befrachtet sind, die mehr auf gesellschaftliche als künstlerische Highlights zielen.

Sein Bekenntnis zu Berlin war uneitel – und großzügig dazu. Immerhin lebt Olafur Eliasson schon fünfzehn Jahre in der Stadt, in der ihm erst jetzt eine große Einzelausstellung gewidmet wird. Lange nachdem er mit seinem „Weather Project“ in der Turbinenhalle der Tate Modern triumphierte, lange nachdem er im MoMA gezeigt wurde, in New York, wo er 2008 unter den Brücken Manhattans Wasserfälle installiert hatte.

Aber er liebt Berlin ja auch gerade deshalb, bekannte er im Renaissance-Theater, weil er hier in Ruhe gelassen wird und damit den nötigen Freiraum für sein fortwährendes künstlerisches Experimentieren hat. Wie etwa mit den 50 ausgebleichten Baumstämmen, die er in Mitte, nahe der Gertraudenbrücke auslegte. Die Leute stiegen achtlos über sie hinweg oder schubsten sie zur Seite; sie wunderten sich auch das eine oder andere Mal, ob es sich womöglich um eine Sitzbank handelte. Für Kunst hielten sie das klandestine Skulpturenprojekt bestimmt nicht, das seinen Ursprung im vollkommen baumlosen Island hat, an dessen Stränden Olafur Eliasson die Stämme, die als Treibholz etwa aus Sibirien angeschwemmt werden, einsammeln und nach Berlin transportieren ließ. Und am Beispiel seines Slow-Motion-Spaziergangs in einem Berliner Park erlebte man es geradezu mit, wie die Zeit bei ihm zum experimentellen Raummaß wird.

„Eine Beschreibung einer Reflexion oder aber eine angenehme Übung zu deren Eigenschaften“: Unter diesem langwierigen Titel hatte der Künstler seine Berliner Lektion angekündigt und – kurzweilig und luzide argumentierend – die Besucher wenigstens so in die Irre geführt wie die Passanten mit seinem Kunst-Treibholz im öffentlichen Raum.

BRIGITTE WERNEBURG