Iraks Regierungschef steht unter Druck

Drei Parteien fordern den Rücktritt von Ibrahim al-Dschaafari. Dieser sagt daraufhin Beratungen über die Regierungsbildung ab. Neue Anschläge fordern mindestens 34 Opfer. 75 Prozent der Toten in der Leichenhalle Bagdads starben durch Gewalt

BAGDAD/BERLIN ap/taz ■ Der irakische Ministerpräsident Ibrahim al-Dschaafari hat gestern Gespräche mit den Vorsitzenden der im Parlament vertretenen Parteien abgesagt. Er reagierte damit offenbar auf einen Vorstoß von drei Parteien, die eine zweite Amtszeit des schiitischen Politikers verhindern wollen. Damit hat sich die Krise im Zusammenhang mit der Regierungsbildung nach den Wahlen vom 15. Dezember weiter verschärft.

Nach der Verfassung erhält der Kandidat der größten Fraktion im Parlament den Auftrag zur Regierungsbildung. Dies ist die schiitische Allianz, die al-Dschaafari am 12. Februar für eine zweite Amtszeit nominiert haben. Vertreter der Sunniten, der Kurden und der schiitisch-säkularen Partei des früheren Ministerpräsidenten Ajad Allawi verständigten sich aber am Mittwochabend auf eine Ablösung al-Dschaafaris. Nur so könnten die Bemühungen um eine Regierung der nationalen Einheit gerettet werden, erklärten sie. Hintergrund ist u. a. die Unterstützung al-Dschaafaris durch den radikalen Kleriker Muktada al-Sadr, dessen Miliz für zahlreiche Vergeltungsanschläge auf Sunniten im Anschluss an die Zerstörung der schiitischen Kuppelmoschee von Samarra verantwortlich gemacht wird. Außerdem geht es um eine magere Bilanz der letzten Regierung sowie um Berichte über angebliche schiitische Todesschwadronen im Innenministerium, die al-Dschaafari geduldet haben soll.

Bei mehreren Anschlägen wurden gestern wieder mindestens 34 Menschen getötet. In dem überwiegend von Schiiten bewohnten Bagdader Stadtteil Safaranijah explodierte in der Haupteinkaufszeit am Vormittag eine Bombe auf dem Gemüsemarkt: Acht Menschen wurden getötet und 14 verletzt. Bei der Explosion einer Bombe in einem Kleinbus kamen im Bagdader Stadtteil Sadr fünf Menschen ums Leben, zehn wurden verletzt. In der Nähe von Samarra überfielen Aufständische einen Kontrollpunkt und erschossen sechs Soldaten und vier Polizisten. Anschläge wurden auch aus anderen Teilen von Bagdad und aus Mossul gemeldet.

Seit dem Anschlag von Samarra am 22. Februar wurden 45 sunnitische Geistliche oder Moscheebedienstete getötet, wie der Leiter der sunnitischen Religionsbehörde, Scheik Ahmed Abdul Gafur al-Samaraie, mitteilte. 37 Moscheen seien in Brand gesetzt, weitere 86 beschossen oder mit Granaten angegriffen worden. In Basra wurde gestern ein sunnitischer Geistlicher nach dem Morgengebet in der Fayha-Moschee erschossen. Der ehemalige UN-Beauftragte John Pace berichtete gestern, hunderte von Toten, die in die Bagdader Leichenhalle gebracht würden, wiesen Spuren von Folter auf oder seien erschossen worden. Im vergangenen Jahr seien pro Monat zwischen 780 und 1.100 Tote eingeliefert worden, sagte Pace dem britischen Radiosender BBC. Bei bis zu 75 Prozent gebe es Hinweise auf einen gewaltsamen Tod. Der Diplomat war bis Februar Direktor des Menschenrechtsbüros bei der UN-Vertretung im Irak und ist jetzt als Dozent an der University of New South Wales in Sydney tätig.