EZB erhöht Leitzins

Gefahr für den Aufschwung: Die Notenbanker bekämpfen eine Inflationsgefahr, die derzeit kaum zu erkennen ist

BERLIN taz ■ Die Europäische Zentralbank (EZB) hat gestern ihren Leitzins von 2,25 auf 2,5 Prozent erhöht. Zu diesem Zinssatz können sich Geschäftsbanken kurzfristig Geld bei der Zentralbank beschaffen. EZB-Chef Jean-Claude Trichet begründete die Entscheidung mit hohen Preissteigerungsraten – und mit Erhebungen, denen zufolge „wir in nächster Zeit höhere Wachstumsraten sehen dürften“. Beobachter rechnen mit weiteren Zinsschritten. Trichet wollte sich derzeit darauf nicht festlegen.

Im Februar lag die Inflationsrate der Euroländer zwar bei 2,3 Prozent und damit deutlich über der Zielmarke der EZB von knapp 2 Prozent. Doch liegt dies zum größten Teil an einem Faktor, der sich durch die Zinshöhe gar nicht beeinflussen lässt: Rohöl kostet inzwischen 54 Prozent mehr als Anfang 2005. Lässt man die stets unberechenbaren Energie-, Lebensmittel- und Tabakpreise weg, kommt man nur noch auf eine Kerninflationsrate von 1,2 Prozent. In Deutschland stiegen die Preise ohnehin nur um 2,1 Prozent. Sind höhere Zinsen also wirklich nötig?

Im Dezember 2005 hatte die EZB zum ersten Mal seit fünf Jahren wieder ihre Zinsen erhöht. Damit folgte sie der US-Notenbank, die seit anderthalb Jahren die Kreditaufnahme immer weiter verteuert. Aber in den USA ist die Wirtschaft 2005 um 3,5 Prozent gewachsen – und nicht nur um 1,3 Prozent wie in der Euro-Zone, wo das Wachstum überdies vor allem auf Spanien, Irland, Griechenland und Luxemburg beschränkt blieb. Auch die Industrieländerorganisation OECD hatte damals kritisiert, die EZB hätte mit der Zinserhöhung warten sollen, „bis die Wirtschaft robuster ist“.

Fragt sich, ob das jetzt der Fall ist. Die EU-Kommission beantwortete die Frage vor ein paar Tagen mit einem halbherzigen Ja. Ein gestiegener Index des wirtschaftlichen Klimas, die kräftig angewachsene Geldmenge und die steigende Kreditnachfrage seien ein Beleg für den Aufschwung, aber auch für drohende Inflation. Wer Kredite aufnimmt, konsumiert oder investiert damit. Schon steigt die Nachfrage, und damit gehen auch die Preise in die Höhe. Aber selbst Trichet sagte gestern, die Nachfrage und damit auch die Inflationsgefahr dürften sich in Grenzen halten. Schließlich ließen sich Lohnerhöhungen angesichts des globalen Wettbewerbs schlicht nicht durchsetzen.

In der Praxis ist also weder eine bedrohliche Inflation noch ein herzhafter Aufschwung zu erkennen. Die EZB, die 2006 selbst nur Wachstumsraten zwischen 1,7 und 2,5 Prozent erwartet, geht also mit ihrem Zinsschritt ein hohes Risiko ein: Womöglich würgt sie wegen einer gar nicht vorhandenen Inflationsgefahr das letzte bisschen Wirtschaftsaufschwung gleich wieder ab. NICOLA LIEBERT