Leere Gärten in Wilhelmsburg

STADTENTWICKLUNG Die Internationale Gartenbauausstellung (IGS) in Wilhelmsburg kommt auf keinen grünen Zweig: Das Wetter gibt Auftrieb, aber es kommen zu wenige Besucher

VON ANNIKA LASARZIK

550.000 Gäste zählten die Veranstalter der Gartenschau in Wilhelmsburg bis Mitte Juli – das sind deutlich weniger als erwartet: 900.000 Besucher sollten es inzwischen sein, insgesamt sind 2,5 Millionen Besucher notwendig, um die Kosten zu decken. Wird diese Marke bis zum Ende am 13. Oktober nicht geknackt, droht der Stadt ein Verlust von 26 Millionen Euro. Das hat der Bund der Steuerzahler berechnet. Warum bloß sind die Leute so schwer in die so lange vorbereitete Schau zu locken?

Das Konzept hat sich überholt

Platt, künstlich und steril sei die Gartenschau, sagt der Landschaftsarchitekt Jürgen Milchert. Er hat die Vorgängerschauen in Koblenz und Schwerin besucht. „Die IGS in Hamburg ist die schlechteste Gartenschau seit Jahren und eine verpasste Chance für die Stadt“, sagt er. Für Fachleute biete die Ausstellung nichts Neues, der Themenpark sei billig und einfallslos gestaltet, sagt Milchert, der an der Hochschule Osnabrück lehrt. „Wenn das ein Werk meiner Studenten wäre, hätte ich darüber kritisch diskutiert – von einer internationalen Gartenschau kann man mehr erwarten.“

Der Experte kritisiert fehlende Mitbestimmung der Anwohner: „Wäre die Bevölkerung an der Gestaltung des Geländes beteiligt gewesen, hätte es eine experimentelle, multikulturelle Ausstellung werden können, die dem Charakter des Stadtteils entspricht.“

Der Eintritt ist zu teuer

21 Euro zahlt ein Erwachsener pro Ticket, Hartz-IV-Empfänger zahlen mit 17 Euro nur vier Euro weniger. Familienangebote gibt es nicht. Beim Blick auf die Betriebskosten von 50 Millionen Euro ist der Eintrittspreis aber sogar knapp kalkuliert: Diese Summe wäre bei einer Besucherzahl von 2,5 Millionen gerade so wieder drin. Die Veranstalter verweisen auf das Konzept: Die IGS sei nicht nur eine Blümchenschau, sondern spiele in einer Liga mit Erlebnisparks, sagt IGS-Leiter Heiner Baumgarten.

Zum Vergleich: Ein Erwachsenenticket im Hansa-Park kostet rund 30 Euro. Dafür gibt es 125 Attraktionen – ohne Zuzahlung. Bei der IGS kostet nicht nur der Eintritt: 7,50 Euro zahlen Gäste für die Fahrt mit der Gartenschaubahn, eine Stunde Klettern im Hochseilgarten macht 13 Euro. Dazu kommen hohe Preise für die Gastronomie: 3,50 Euro für eine kleine Cola. Doch ist der Eintrittspreis nicht ungewöhnlich für Pflanzenschauen: Ein Tag auf der Bundesgartenschau 2011 in Koblenz kostete 20 Euro. Damals kamen die Besucher trotzdem: Insgesamt 3,5 Millionen Gäste wurden in Koblenz gezählt.

Wilhelmsburg schreckt ab

Die IGS sollte dazu beitragen, die Attraktivität des Stadtteils zu steigern. Nun könnte aber gerade der schlechte Ruf Wilhelmsburgs Besucher fernhalten. Das fürchtet der Vorsitzende des Beirats für Stadtteilentwicklung Wilhelmsburg, Lutz Cassel: „Jahrelang wurde der Stadtteil vernachlässigt, nun ist es nicht gelungen, das Image der Elbinsel zu bessern.“

Ob der Standort Wilhelmsburg die Besucher abschreckt, ist schwer nachzuweisen. Die ebenfalls in Wilhelmsburg angesiedelte Internationale Bauausstellung ist anscheinend nicht betroffen: 200.000 Besuche zur Halbzeit hätten die Erwartungen übertroffen, sagte Geschäftsführer Uli Hellwig dem Hamburger Abendblatt am 7. Juli. Das ist aber eine großzügige Schätzung, die auf Personenzählungen im IBA Dock-Gebäude und dem Energieberg in Wilhelmsburg beruht, wie Pressesprecher Rainer Müller auf Nachfrage mitteilte.

Die IGS hat sich von der IBA kannibalisieren lassen

Schlechtes Marketing wirft Kurt Duwe, stadtentwicklungspolitischer Sprecher der FDP-Bürgerschaftsfraktion, den Veranstaltern vor. „Die Gartenschau spricht die Hamburger und ihre Gäste nicht ausreichend an und segelt marketingmäßig im Windschatten der IBA“, sagt er. Besucher beklagen etwa fehlende Hinweisschilder in der Stadt: „Es wirkt gerade so, als wolle Hamburg die IGS verstecken“, sagt Jürgen Milchert. Ausgedehnt wurde die Plakatkampagne im Stadtgebiet erst nach den ersten Wochen der Ausstellung. Mit Rabattaktionen, Ferien-Angeboten und Werbung im Rundfunk sollen nun Besucher angelockt werden.

Das Wetter war zu schlecht

Regen und Kälte passen nicht zu einer Gartenschau: Statt bunter Blumenpracht gab es in den ersten Wochen witterungsbedingt vor allem Kies und Sand zu sehen. Durchschnittlich 5.000 Besucher pro Tag kamen im nassen Mai, gerechnet wurde aber von Anfang an mit 15.000. Die schlechte Gesamtbilanz liegt aber nicht nur am schleppenden Start, auch im Juli blieben die Besucherzahlen hinter den Erwartungen zurück: Pro Tag fehlen rund 7.700 Gäste.

Wie geht es weiter?

Knapp 35 Millionen Euro müssen nun noch eingebracht werden, um das Defizit abzuwenden. Eine Senkung des Eintrittspreises auf 16 Euro, wie vom Bund der Steuerzahler gefordert, kommt für den IGS-Aufsichtsrat nicht in Frage. Tausende Gäste, die den vollen Eintrittspreis schon gezahlt hätten, fühlten sich sonst benachteiligt, hieß es.

Ob der Stadt, die mit 70 Millionen Euro an der Gartenschau beteiligt ist, nun ein finanzielles Defizit droht, lässt der Senat noch offen: „Eine belastbare Aussage über das Ergebnis nach Abschluss der Gartenschau kann zum jetzigen Zeitpunkt nicht getroffen werden“, heißt es in der Antwort des Senats am 9. Juli. Und aus welchen Töpfen das Geld für einen möglichen Verlustausgleich kommen sollte, weiß der Senat zur Zeit offenbar selbst nicht: Dies sei „zu gegebener Zeit zwischen der Behörde für Stadtentwicklung und Umwelt und der Finanzbehörde abzustimmen“.