Von der Tier- zur Totalbefreiung

Der Tierbefreiungskongress ab 31. Juli in Potsdam erweitert seinen Fokus auf andere gesellschaftliche Kämpfe und bietet ein vielfältiges Programm für Interessierte

Der ab kommenden Mittwoch laufende Kongress bezieht nicht nur Tierrechtler_innen mit ein, sondern auch andere Aktive.

■ Wann? 31. Juli bis 4. August

■ Wo? freiLand Potsdam, Friedrich-Engels-Straße 22

■ Im Netz: freiland-potsdam.de

Die Tierbefreiungsbewegung macht sich auf den Weg zur „bewegungsübergreifenden Totalbefreiung“. Der Kongress vom Mittwoch bis Sonntag nächster Woche (31. Juli bis 4. August) im Potsdamer alternativen Zentrum freiLand will das Thema Tierbefreiung zur „Totalbefreiung“ erweitern: „Von Single Issue zu Total Liberation“ heißt das im Untertitel.

„Wir brauchen einen breiteren Ansatz“, sagt Aktivist Carl, 41, der seit Jahren in der Szene aktiv ist. Er verweist auf die Schriften des Amerikaners Steve Best, der die dortige Tierrechtsbewegung kritisiert hatte: Man müsse radikale gesellschaftliche Inhalte mitdenken, aber weniger Radikale nicht als Feinde sehen. „Wenn man politisch wirksam sein möchte, braucht man eine breite Bewegung und muss Brücken schlagen“, erklärt Carl. Und zwar sowohl zu gemäßigteren Gruppen aus dem eigenen Themenspektrum als auch zu ganz anderen Bewegungen. „Total Liberation“ ist das neue Schlagwort aus den USA. „Es gibt starke Überschneidungen mit anderen Bewegungen, die strukturell ähnlich sind“, sagt Carl und verweist unter anderem auf die Kämpfe um Frauenrechte, Kinderrechte und Umweltschutz.

Diese und andere Bewegungen sollen beim Kongress in Potsdam eine größere Rolle spielen als bisher. Wobei der Ansatz der Tierbefreiung ohnehin schon immer gesellschaftlich war. Denn „Tierbefreiung“ bedeutet ja nur in der ersten Assoziation ganz konkret, Tiere aus ihren Käfigen zu befreien. Dass solche Aktionen nur kurzfristig wirken und nichts am System ändern, ist den Aktivist_innen auch klar. Deswegen geht es eher um die Befreiung von Tieren in einem gesellschaftlichen Kontext: Die Menschen sollen sich ändern und Tiere nicht mehr züchten, ausbeuten und einsperren. „Wir wollen auf gesellschaftliche Diskurse einwirken“, erklärt Carl und bekräftigt die emanzipatorische Funktion der Bewegung – und damit auch ihre Offenheit für Bündnispartner.

Zum übergreifenden Ansatz passt übrigens auch das Gelände: Das freiLand ist Potsdams größtes selbst verwaltetes Kulturzentrum, umfasst 12.000 Quadratmeter Fläche und fünf Häuser mit unterschiedlichsten Nutzungszwecken. Rund zwei Dutzend Projekte und Initiativen nutzen das freiLand, vom Freien Radio Potsdam über eine Bildungsinitiative und einer Siebdruckwerkstatt bis hin zum legendären Veranstaltungsort Spartacus.

Zum Kongress werden etwa 200 bis 300 Aktivist_innen aus ganz Deutschland erwartet. Teilnahme, Unterkunft und Verpflegung sind frei beziehungsweise werden durch Spenden finanziert, damit die Beteiligung vom Einkommen unabhängig ist. Das ist den Veranstaltenden wichtig: Keiner soll ausgeschlossen werden, es gilt „diskriminierungsfreie Inklusion“, wenn möglich: Besondere Bedürfnisse der Teilnehmer_innen sollen weitestmöglich berücksichtigt werden, damit sich niemand, ob jünger oder älter, mit Kind, Rollstuhl, Hund oder speziellem Diätplan, als Teilnehmer_in zweiter oder dritter Klasse fühlt.

Der Schwerpunkt Totalbefreiung schlägt sich auch im Programm nieder: Der Tierbefreiungskongress kooperiert mit dem Jugendumweltkongress Jukss, es gibt Workshops etwa zu Ableism (Diskriminierung aufgrund von Behinderungen), zu Kinderrechten und Schulkritik der Freilerner-Szene sowie einen Vergleich von Kritik an Gefängnissen und Psychiatrien mit der Kritik an Zoos. Der theoretische Anteil ist also hoch und umfasst zwei Themenstränge: „Grundlagen und Zusammenhänge“ sowie „Bewegungsreflexion“ – Letzteres beinhaltet auch die Evaluation bestehender Aktionen wie etwa die laufenden überregionalen Kampagnen gegen Jagd, Schlachtfabriken oder Tierversuche. Etwas praktischer wird der dritte Themenstrang „Aktionsformen und Skill-Sharing“, etwa mit Workshops zu Siebdruck und dominanzvermeidendem Umgang mit Hunden. Dazu gibt es noch Lücken im Programm, Raum für Ideen der Teilnehmer_innen, spontane Aktionen und Socializing. Außerdem verspricht das Programm Soziales wie polithistorische Stadtrundgänge und Konzerte. Treffend dazu lautet es im Plan: „Mehrere Tage dicht gepacktes Workshopprogramm ohne kulturelle Rahmung – das wäre einfach öde.“ Zudem gibt es am Sonntag ab 14 Uhr ein veganes Grillevent.

Am wichtigsten sind dennoch die Inhalte und die thematische Verbreiterung auf die neuen Kooperationen. Da soll der Kongress langfristig wirken, hofft Carl: „Es wäre toll, wenn die Workshops Impulse für längerfristige Projekte geben.“

MALTE GÖBEL