Streik light statt Massenprotest

Welcher Ver.di-Streik? Die großen Schlachten im Arbeitskampf des öffentlichen Diensts finden nicht in NRW statt. Das liegt auch an der Größe des Landes und der Schwäche der Gewerkschaft

VON KLAUS JANSEN
UND MARTIN TEIGELER

Die ganze Republik streikt – in NRW aber wird jede Mülltonne ordnungsgemäß geleert. Der Arbeitskampf Ver.di gegen Land Nordrhein-Westfalen wirkt auffallend zahm: Bislang bestreikt die Dienstleistungsgewerkschaft nur punktuell einzelne Landesbetriebe. „Unsere Gewerkschaftsführung hält radikale Reden, aber traut sich nichts“, sagt ein Ver.di-Vertrauensleutesprecher aus einer NRW-Behörde.

Ver.di-Landesleiterin Gabriele Schmidt betont hingegen die Kampfbereitschaft der Beschäftigten und kündigt eine härtere Gangart in den nächsten Tagen an (siehe Interview). Der eher flexible Streik an Rhein und Ruhr steht dennoch im krassen Kontrast zur Ver.di-Strategie in anderen Bundesländern wie Baden-Württemberg. Im „Ländle“ türmte sich der nicht abgeholte Müll auf den Straßen. Am Wochenende verhinderten Streikende mit Straßenblockaden, dass private Anbieter den schwäbischen Unrat an Müllverbrennungsanlagen liefern konnten.

In NRW wird bislang lediglich an den sechs Universitätskliniken gestreikt, und das unabhängig von der Auseinandersetzung mit den Arbeitgebern in Kommunen und Ländern – die Pfleger und Verwaltungskräfte besitzen zur Zeit überhaupt keinen Tarifvertrag. Dass in den NRW-Kommunen nicht gestreikt wird, hat einen einfachen Grund: Bisher haben die Städte und Gemeinden darauf verzichtet, den Tarifvertrag zu kündigen. Die brave Haltung der Landesbediensteten aber ist selbst Ver.di-intern umstritten – schließlich verlangt NRW-Finanzminister Helmut Linssen (CDU) von ihnen ebenso die 40-Stunden-Woche wie sein CDU-Ressortkollege Gerhard Stratthaus aus Baden-Württemberg.

1992, beim letzten großen Streik im öffentlichen Dienst, lagen die regionalen Schwerpunkte dagegen noch in NRW. Zahlreiche öffentliche Einrichtungen wurden damals lahm gelegt, teilweise warteten drei Millionen Berufspendler in NRW vergebens auf ihre Nahverkehrszüge. Damals parkten in Düsseldorf Autos auf Gleisanlagen, weil tagelang keine Straßenbahnen fuhren.

Doch die Zeiten haben sich geändert: Innerhalb der NRW-Bürokratie ist Ver.di nicht mehr besonders stark vertreten, die Zahl der gewerkschaftlich organisierten Beschäftigten geht seit Jahren zurück. Ver.di-Chef Frank Bsirske schätzte den Anteil von Gewerkschaftsmitgliedern unter den NRW-Landesbeschäftigten bei einem Besuch bei Warnstreikern im vergangenen Jahr auf „zwischen 10 und 90 Prozent“. Bei den meisten Landesbehörden seien nur „30 Prozent der Kollegen in der Gewerkschaft, wenn‘s hoch kommt“, sagt ein Ver.di-Funktionsträger.

Noch ein Grund für die Ver.di-Vorsicht: Ein Streik im bevölkerungsreichsten Bundesland wäre teuer und schwer zu organisieren. „NRW hat mit Ostwestfalen, Ruhrgebiet und der Rheinschiene sehr disparate Regionen. Da ist es schwer, Solidarität zu organisieren“, so der Bochumer Historiker und Gewerkschaftsexperte Klaus Tenfelde. Zudem sei es bei hoher Arbeitslosigkeit schwer, öffentliche Zustimmung zu gewinnen – in Süddeutschland sei das anders, so Tenfelde. Metallerstreiks fänden ebenso kaum in NRW statt. „Einen Streik macht man da, wo die Rahmenbedingungen stimmen.“