Gorbi ganz groß gefeiert

Ausgerechnet in Bremen feierte Michail Gorbatschow seinen 75. Geburtstag. Lob kam von allen, am meisten von Exaußenminister Genscher: Mit Gorbi habe Europa die Schützengräben verlassen

Bremen taz ■ Die Glocke war brechend voll am gestrigen Sonntagvormittag, und nach dem Konzert wollte kaum einer nach Hause gehen – als käme da noch was.

„Gorbi“ sollte kommen, und wer ihn nicht schon beim Hineingehen gesehen hatte, der wollte wenigstens beim Hinausgehen einen Blick auf den Mann werfen, den Deutschland mit seiner Einheit in untrennbare Verbindung bringt. „Es gibt kaum einen Staatsmann der Nachkriegsgeschichte, der in aller Welt so viele Freunde und dankbare Bewunderer hat wie Sie“, hatte Bremens Bürgermeister Jens Böhrnsen (SPD) die Rolle des letzten KPdSU-Generalsekretärs und letzten sowjetischen Präsidenten Michail Gorbatschow gewürdigt. „Die Einheit unseres Landes in Frieden, Freiheit und Selbstbestimmung wäre ohne Ihre Besonnenheit, ohne Ihr Vertrauen, ohne Ihren Mut 1989 nicht möglich gewesen.“

Der russische Pianist Yuri Rozum, dessen internationale Pianisten-Karriere das sowjetische Regime nicht zuließ, sondern ihn zum Militär einzog und zu zwei Jahre Schwerstarbeit in ein Arbeitslager schickte, dankte Gorbatschow dessen Rolle beim innenpolitischen Tauwetter in den 90er-Jahren mit einem wunderbaren Konzert – insbesondere das 1. Klavierkonzert von Peter Tschaikowski stand auf dem Programm.

Hans-Dietrich Genscher, der als Außenminister 1986 Gorbatschow kennen gelernt hatte, war als Gastredner nach Bremen gekommen. Genscher lobte die „freiheitliche Gesinnung Bremens“, die diese Stadt zum würdigen Ort für die Feuer des 75. Geburtstages von Gorbatschow mache. „Sehr viel Mut“ habe Gorbatschow bewiesen, als er dem herrschenden Apparat ein „neues Denken“ entgegensetzte.

Genscher bekannte, dass er selbst 1986 skeptisch gewesen sei, ob dieser Mann das umsetzen könne, was er da redete. Mit ihm habe Europa „die Schützengräben des Kalten Krieges verlassen“, obwohl doch gerade ein Mann wie Gorbatschow vom Krieg Deutschlands gegen die Sowjetunion in seiner Kindheit geprägt worden war.

Gorbatschow habe in den nur sieben Jahren seiner Amtszeit einen Prozess eröffnet, der der Welt neue Grundlagen gegeben habe. Welcher Staatsmann könne das von sich sagen, dass er wie eben Gorbatschow „die Welt zum Besseren verändert hat“.

Gorbatschow selbst ergriff in einer Konzertpause das Wort. Mit Kohl habe er noch im Juni 1989 lange auch über die deutsche Frage geredet, erzählte er, und man sei sich einig gewesen, dass das ein Problem für das 21. Jahrhundert sei – drei Monate später war die Mauer weg.

Er sei damals über die Folgen des Mauerfalls „froh und glücklich“ gewesen, bekannte Gorbatschow. Man werfe ihm manchmal vor, er habe den gewollten Umbau des Sowjetsystems, die „Perestroika“, nicht gesteuert – aber das gehe gar nicht, „Revolutionen steuern uns“. An dieser Stelle gab es sehr viel Beifall von dem philharmonischen Konzertpublikum.

Zu seinem Geburtstag habe er auch ein Gespräch mit Putin gehabt, berichtete er – es ist bekannt, dass das Verhältnis zu dem russischen Präsidenten, der Gorbatschow seine Beliebtheit im Westen neidet, eigentlich eher unterkühlt ist. Deswegen gab es in Moskau auch keine staatliche Geburtstagsehrung. Was den 75-Jährigen nicht entmutigt, sich auch heute noch in aktuelle Diplomatie einzumischen. Die „Transformation“ der russischen Gesellschaft sei aber ein „großes Projekt“, erklärte Gorbatschow, es gebe „nicht immer die Unterstützung aus Deutschland, die wir gebrauchen würden“. kawe