„Mit den Schulden kamen die Lügen“

Daniel H. (25) hat 10.500 Euro Schulden angehäuft. Er chattete, telefonierte, ließ schließlich Briefe mit Rechnungen ungeöffnet – und ertränkte das schlechte Gewissen mit Alkohol. Die Schuldnerberatung half ihm aus dem Teufelskreis

taz: Herr H., Sie sind mit 25 Jahren bereits hoch verschuldet. Um wie viel Geld geht es denn?

Daniel H.: Circa 10.500 Euro.

Bei jungen Menschen sind das oft Handyschulden. Wie war das bei Ihnen?

Das ist die Hauptursache. 2001 habe ich mich wegen Liebeskummer abgeschottet – und die Welt des Internets entdeckt. Ich habe nicht nur stundenlang gechattet, sondern auch telefoniert und einen Handyvertrag nach dem anderen abgeschlossen. Zeitweilig hatte ich drei Verträge. Dazu noch die GEZ-Gebühr, ein Vertrag bei einem Fitnessstudio, den ich aus einer Laune heraus unterschrieben habe. Und schon bist du im Teufelskreis. Insgesamt habe ich elf Gläubiger – und zusätzlich private Schulden von etwa 3.000 Euro.

Was haben Sie unternommen, um die Schulden wieder loszuwerden?

Zuerst habe ich versucht, in Raten zu zahlen. Doch bald haben sich die Rechnungen überschnitten: Ich hatte die eine noch nicht bezahlt, da kam schon die nächste. Irgendwann habe ich die Post gar nicht mehr geöffnet. 2003 wurde mir mein Konto gekündigt. Plötzlich hatte ich einen Eintrag in der Schufa, konnte keine Verträge mehr abschließen. Der Gerichtsvollzieher stand 2003 vor der Tür und ich musste eine eidesstattliche Versicherung, eine EV, abgeben. Davor hab ich alles Wichtige weggeschafft.

Was heißt „weggeschafft“?

Bei einer EV muss man sein gesamtes Vermögen offenlegen. Dazu gehören auch die Wertgegenstände. Da war zwar nicht viel, aber das habe ich bei Freunden untergestellt.

Schließlich haben Sie sich für professionelle Hilfe entschieden. Wie kam es dazu?

Ich bin zur Schuldnerberatung gegangen, weil ich von dieser zweiten Chance gehört habe: der Verbraucherinsolvenz. Ein Hoffnungsschimmer. 2003 war ich zum ersten Mal dort, zunächst regelmäßig, habe aber bald die Lust verloren. Dann bin ich erst nach einer Pause von einem Jahr wieder hingegangen. Ich dachte, ich schaffe es auch alleine. Aber das war nicht der Fall.

Was hat Ihnen der Schuldnerberater empfohlen?

Zunächst musste ich alle Gläubiger zusammentragen. Damit ich schätzen konnte, um wie viele Forderungen es sich eigentlich handelt. Dies war schwierig, weil ich die Unterlagen oft weggeworfen habe. Aber nach und nach kamen die Briefe wieder. Kurz vor Weihnachten 2005 habe ich dann den Antrag auf Verbraucherinsolvenz gestellt. Es dauert noch ungefähr ein Jahr, bis das Verfahren eröffnet wird. Aber nach sieben Jahren bin ich komplett schuldenfrei.

Haben die Schulden Sie auch psychisch belastet?

Früher war ich mal richtig gegen Alkohol und Nikotin. Doch mit den Schulden kamen nicht nur die Lügen. Mein schlechtes Gewissen habe ich irgendwann mit Alkohol ertränkt. Am Morgen des 17. Januar 2006 – nach einer langen Nacht mit Schnaps, Bier und Selbstmordgedanken – habe ich mir gesagt: So was willst du nicht nochmal erleben. Noch am gleichen Tag ging ich in die Klinik zur Entgiftung und bin jetzt in der Entwöhnung. Ich trage viel mit mir herum: Schulden, Selbstvorwürfe und wieder Liebeskummer. Jetzt muss ich versuchen, das nüchtern hinzukriegen.

Bekamen Sie denn Hilfe von Freunden oder Ihrer Familie?

Das haben die gar nicht erfahren. Es war zunächst ein Ding zwischen mir und meinem Gewissen. Erst dieses Jahr habe ich den zwei Freunden, die mir geblieben sind, davon erzählt. Ich wollte sie nicht mehr anlügen. Zu meiner Familie habe ich kaum noch Kontakt, meine Mutter ist selbst Alkoholikerin.

Welchen Stellenwert hat Geld heute für Sie?

Ich weiß natürlich, dass Geld nicht glücklich macht. Damals habe ich mich in einen Kaufrausch hineingesteigert, der mich kurzzeitig zufrieden gestellt hat. Wenn ich Geld hatte, habe ich es verjubelt. Heute freue ich mich über Kleinigkeiten. Mein Horizont beschränkt sich auf die nahen Ziele. Eigentlich will ich nur ein ehrliches, schuldenfreies Leben führen.

INTERVIEW: MARIA DALDRUP