Glücksfall Gustl Mollath

ORTSTERMIN Der Autor Wilhelm Schlötterer rechnet in München mit der CSU ab – mit Korruption und Prostitution. Die Leute sind aber wegen jemand anderem gekommen

Es ist der Hang zum Unbeugsamen, der Schlötterer und Mollath in Freundschaft eint

AUS MÜNCHEN MARLENE HALSER

Es ist der perfekte Zeitpunkt für diese Präsentation. Wenige Stunden zuvor hatte das Landgericht Regensburg entschieden, dass Gustl Mollaths Fall nicht neu aufgerollt wird. Seit sieben Jahren sitzt Mollath in der forensischen Psychiatrie. Vielen gilt er als Justizopfer, als Weggesperrter, der die Wahrheit über illegale Kapitaltransfers in die Schweiz aufdecken wollte, aber nicht durfte.

Einige sind ins Literaturhaus in München gekommen; viele Stühle sind besetzt, aber bei Weitem nicht alle. Es herrscht eine bleierne Bräsigkeit im Saal, vielleicht, weil alle so still sind, obwohl es noch gar nicht angefangen hat. Es mag an der Hitze liegen. Die die kamen, sind wegen Mollath hier und nicht im Biergarten, wo man bei diesem Wetter besser aufgehoben wäre – nicht aber wegen Wilhelm Schlötterer.

Der 73-Jährige war einst ein hoher Finanzbeamter. Als solcher musste er miterleben, wie die bayerische Staatsregierung offenbar das Steuerrecht außer Kraft setzte, für all jene, die es sich leisten konnten, die Staatsregierung zu schmieren. Als Schlötterer versuchte, dagegen vorzugehen, überzog man ihn mit Disziplinarverfahren. Stets war er unschuldig. Im Gegensatz zu Mollath wurde Schlötterer nie weggesperrt, aber lange Zeit nicht befördert. Es ist wohl dieser Hang zum Unbeugsamen, der sie nun in Freundschaft eint – und den die Leute mögen.

Nun hat Schlötterer bereits das zweite Buch geschrieben, das prominente CSU-Größen – vor allem Franz Josef Strauß – Korruption, Vetternwirtschaft und Prostitution vorwirft. Seit Jahren überziehen ihn die Strauß-Erben mit Klagen, nennen ihn „den Stalker unserer Familie“. Es sind auch die Werke eines Gekränkten, der sein CSU-Parteibuch nie abgegeben hat und nun Rache sucht.

Für Schlötterer war Gustl Mollath ein Glücksfall, auch wenn das zynisch klingt. Nach dem ersten Buch schrieb dieser ihn an. Schlötterer ist es anzurechnen, dass er die Brisanz des Falls erkannte. Mollath hat den Autor zum Vertrauten erwählt – der Autor hat Mollath nun ein Kapitel in seinem Buch gewidmet. Nun ist der bekannteste Psychiatrieinsasse Deutschlands sein bester Werbeträger.

Tags zuvor hatte Schlötterer das Buch schon einmal vorgestellt – in Bayreuth, wo Mollath in der geschlossenen Abteilung sitzt. Für die Präsentation bekam er ein paar Stunden Freigang. Auch heute ist Mollath gegenwärtig, ohne da zu sein, vor allem in Anspielungen: Den Verantwortlichen müsse das Handwerk gelegt werden, sagt Schlötterer unvermittelt. „Ich denke da an einen bestimmten Fall. Ich will ihn gar nicht aussprechen.“ Zum ersten Mal kommt Leben ins Publikum. Die Zuschauer klatschen lang.

Ausgiebig redet Schlötterer über gewichtige Namen in der CSU und ihre Vergehen. Ein einsamer Fächer wedelt träge, sonst bewegt sich nichts. Auf den vielen kahlen Köpfe in den Stuhlreihen spiegeln sich die Scheinwerfer. Man weiß das alles, traut allen alles zu und noch viel mehr. Trotzdem bleiben die Umfragen der CSU stabil. Im Fall Mollath aber spiegelt sich das System ganz konkret.

Statt Mollath selbst ist seine Rechtsanwalt Gerhard Strate heute hier – extra eingeflogen aus Hamburg. Als er die Bühne betritt und zu sprechen beginnt, hat man den Buchautor schnell vergessen. Und man kommt nicht umhin, zu denken, dass da jemand ganz ordentlich von Mollaths Schicksal profitiert.

Wie es Mollath gehe, nachdem er wisse, dass sein Wiederaufnahmegesuch abgelehnt worden sei, wollen die Zuschauer wissen, und ob die Bedingungen in der Anstalt besser geworden seien. Mollath ist zum Popstar geworden, dessen Leben interessiert. Immer wieder versucht Schlötterer sich in kämpferischen Sätzen. Was Mollath angetan wurde, sei ein Verbrechen der schweren Freiheitsberaubung, sagt er in einem Tonfall, den man aus dem Bierzelt kennt.

Doch es ist Strate, den die Menschen hören wollen, wie er die bayerische Justiz mit hanseatischem Feinsinn zerlegt.