Algerien lässt erste verurteilte Islamisten frei

Amnestiegesetz greift. 2.000 weitere Entlassungen in den nächsten Tagen geplant. Menschenrechtler protestieren

MADRID taz ■ Algeriens Justiz hat am Wochenende die ersten islamistischen Gefangenen in die Freiheit entlassen. In Chlef, im Nordwesten des Landes, wurden am Freitag 40 verurteilte Terroristen freigelassen, in der Hauptstadt Algier waren es am Samstag mehrere Dutzend. Insgesamt sollen in den nächsten Tagen über 2.000 Gefangenen folgen. So sieht es ein Amnestiegesetz vor, das Präsident Abdelasis Bouteflika am 28. Februar erließ. Die Betroffenen sitzen wegen Unterstützung oder Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung ein.

Wer an Bombenanschlägen, Massakern und Vergewaltigungen beteiligt war, ist von der Amnestie ausgenommen. Das Gesetz sieht jedoch eine Revision der Urteile zur Strafminderung vor. Wer weiter im Untergrund lebt, hat sechs Monate Zeit, sich zu stellen. Das richtet sich nicht nur an hunderte Kämpfer der noch immer aktiven Salafistischen Gruppen für Kampf und Predigt (GSPC), sondern auch an radikale Islamisten, die sich ins Ausland abgesetzt haben.

Die Amnestie ist Folge eines Referendums vom September 2005 über eine „Charta für Frieden und nationale Versöhnung“. 97,4 Prozent sollen für den Vorschlag Bouteflikas gestimmt haben. 79,8 Prozent der Wahlberechtigen seien an die Urnen gegangen. Wahlbeobachter berichteten von leeren Wahllokalen.

Das Amnestiegesetz stößt nicht nur bei vielen Angehörigen der über 150.000 Opfer des blutigen Konflikts, der Algerien 1992 heimsuchte, auf Widerstand. Auch nationale und internationale Menschenrechtsorganisationen sprechen sich dagegen aus. Denn das Gesetzt diktiert neben der Haftentlassung für die Islamisten auch die Straffreiheit für Mitglieder von Armee und Polizei, die an Menschenrechtsverletzungen beteiligt waren. Gruppen wie SOS Disparus, eine Vereinigung von Angehörigen der über 20.000 Verschwundenen, werden vergebens auf die Wahrheit warten. Zwar räumt ihnen das Gesetz das Recht auf Entschädigung ein, so sie den richterlichen Nachweis für das Verschwinden eines Angehörigen erbringen. Gleichzeitig untersagt das Gesetz jedoch die Strafverfolgung der Täter. Damit nicht genug: Wer weiter über Gräuel der Sicherheitskräfte informiert, muss wegen „Schwächung des Staats“ oder weil er „der Ehrenhaftigkeit seiner Bediensteten, die ihm würdevoll gedient haben, Schaden zufügt“ und das „Bild Algeriens international trübt“ mit bis zu 5 Jahren Haft und Geldstrafen von umgerechnet 2.500 bis 3.000 Euro rechnen. REINER WANDLER