SCHNEE, REGEN, WIND, SONNENSCHEIN
: Was das Klima so alles hergibt

redet über das Wetter

HELMUT HÖGE

Mit Kachelmann fing alles an. Plötzlich war er da. Mit ihm wurde „der tägliche Blick auf die Wetterkarte“ erst zu einem „Content“ und dann auch zu einem fast intellektuellen Gesprächsthema. Neulich entdeckte ich zu meiner Erschütterung im Kulturkaufhaus Dussmann schon ein ganzes Regal voller Wetterbücher.

Ich hätte es ahnen können: Ein Spiegel-Kollege sprach schon 1999 davon, sich nur noch dem „Klima“ widmen zu wollen. Für mich galt damals noch der alte Bundesbahn-Werbeslogan: „Alle reden vom Wetter. Wir nicht“ – in seiner SDS-Version: Das Plakat zeigte die Köpfe von Marx, Engels und Lenin, darüber stand der Spruch „Alle reden vom Wetter“ und darunter: „Wir nicht“. Von dem Plakat verkaufte der SDS hunderttausende und finanzierte damit zum Teil seine Arbeit.

Auf dem Land und besonders in der Landwirtschaft schien mir das Reden über das Wetter immer einigermaßen sinnvoll, in der Stadt dagegen sinnleer. So wie das verklemmte Gespräch einer Tischgesellschaft beim Essen, das nicht über die Thematisierung der Speisen hinauskommt. Anders gesagt: Die städtischen Wettergespräche kamen mir wie Verlegenheitslösungen vor.

Inzwischen ist das Klima jedoch global ein Thema geworden und zehntausend „Klima-Aktivisten“ pilgerten zum Beispiel nach Kopenhagen, um den dort versammelten Politikern ein „CO2-Stopp“ abzuringen. Ihre Philosophie ist die „Gaia-Hypothese“ des englischen Geochemikers James Lovelock: Er begreift die Erde mit ihrer Atmosphäre als einen lebendigen Organismus, in dem die Bakterien eine Hauptrolle spielen. Es ist denn auch eine Mikrobiologin, Lynn Margulis, die zu seinen stärksten (US-)Propagandisten zählt. 2009 referierte sie über die „Gaia-Theorie“ (!) in Berlin auf einer Darwin-Konferenz des Zentrums für Literaturforschung.

Das Reden übers Wetter ist erst einmal so repressiv wie diese ganze Restaurationszeit, in der wir spätestens seit der „Wende“ leben. Der Semiologe Roland Barthes unterschied 1969 die Metasprache, die in der Stadt gesprochen wird, von der Objektsprache auf dem Land. „Die erste Sprache verhält sich zur zweiten wie die Geste zum Akt: Die erste Sprache ist intransitiv und bevorzugter Ort für die Einnistung von Ideologien, während die zweite operativ und mit ihrem Objekt auf transitive Weise verbunden ist.“

Zum Beispiel das Wetter: Während der Städter über das Klima spricht oder es sogar besingt, da es ein ihm zur Verfügung stehendes „Bild“ ist, redet der Dörfler vom Wetter. Es gibt jedoch kaum noch „Dörfler“. Schlimmer noch: Auch auf dem Dorf ist das Reden über das Wetter zu einer Verlegenheitslösung geworden.

Einen vielversprechenden Versuch, darüber hinaus zu gelangen, haben nun einige Wissenssoziologen um Bruno Latour mit ihrer „Akteur-Netzwerk-Theorie“ vorgestellt, die eine „politische Ökologie“ fundiert, in der, kurz gesagt, auch die Tiere und Dinge Menschenrechte, das heißt Sitz und Stimme an den Verhandlungstischen haben – also auch das Wetter, das damit jedoch nur ein Akteur, sprich: Thema in den Versammlungen, wäre.

Anlässlich der Verleihung des „Kulturpreises 2010“ der Münchner Universitätsgesellschaft stellte Bruno Latour kürzlich sein „Manifest“ dazu vor. Dieses neue „kompositionistische“ hat noch etwas mit dem alten (kommunistischen) gemein: „Der Hunger nach der gemeinsamen Welt ist das, was vom Kommunismus im Kompositionismus steckt, mit diesem kleinen, aber wichtigen Unterschied, dass sie langsam komponiert werden muss, anstatt als gegeben betrachtet und allen auferlegt zu werden“.

Die Einbeziehung des Wetters (und anderer nichtmenschlicher Wesen) in das sich zusammensetzende „Kollektiv“ gleicht also einer „friedlichen Revolution“ – so habe ich ihn verstanden. Und tatsächlich bemüht sich auch die taz-Onlineredaktion „bewegung.de“ schon aktiv um das Klima.