Esst mehr Quallen

KONSUM Der kanadische Autor Taras Grescoe plädiert in „Der letzte Fisch“ für einen ethisch korrekten Verzehr von Meerestieren

Quallen“, schreibt der Kanadier Taras Grescoe, „werden als Lebensmittel stark unterschätzt. Sie sind kalorienarm und dafür reich an Magnesium und hautpflegendem Kollagen, den Vitaminen A und B sowie einem Protein, das dem von Hühnereiweiß sehr ähnlich ist.“ Allerdings werden sie nur in wenigen Kulturen als Nahrung akzeptiert. In Schanghai, wo die Quallenabteilungen in den Supermärkten so groß sind wie im Westen die Chipsregale, kostet 1 Kilo getrocknete Quallen gerade einmal 2,80 Euro. (Das ist günstig, aber auch kein Wunder, denn eine Qualle ist schließlich nicht schwer zu fangen.) Wenn es nach Grescoe ginge, der mit gutem Beispiel vorangeht, müssten wir alle viel mehr Quallen essen, denn unser steigender Verzehr von Seelebewesen vom oberen Ende der Nahrungskette ist dafür verantwortlich, dass sich die Lebewesen am unteren Ende so vermehrt haben – zum Nachteil vieler Badestrände.

Obwohl die EU-Länder nach China die zweitgrößte Fischereiflotte der Welt unterhalten, werden in Europa jährlich 4 Millionen Tonnen mehr Fisch im- als exportiert, was ein Handelsdefizit von 10 Milliarden Euro bedeutet. In „Der letzte Fisch“ mussten viele Zahlen und Fakten Platz finden, weil einiges zusammenkommt, wenn man eine Recherchetour durch vier Kontinente unternimmt. Deswegen ist dieses kluge, gut geschriebene Reisesachbuch dick wie ein Ziegelstein geworden, was aber nichts macht, da es gut in Häppchen gelesen werden kann. Ob man mit dem China-, dem Austern- oder dem Sardinen-Kapitel anfängt, ist egal, denn die Botschaft („Esst mehr vom unteren Ende der Nahrungskette!“) muss nicht argumentativ entwickelt werden, sondern wird nur variantenreich durchgespielt und faktenreich unterfüttert. Grescoes Ur-Interesse am Fisch ist kulinarischer Art, weiterentwickelt zu einem ökologisch bewussten, kritischen Kosumbewusstsein.

Ebenso gern wie der Autor Köchen in die Töpfe guckt oder, lieber noch, im Restaurant sitzt, fährt er mit Fischern hinaus auf die Meere, besucht Austern-, Lachs- oder Garnelenzuchtanstalten. Die unbedarfte Konsumentin lernt dabei viel. Auch, dass die Franzosen über einen speziellen Teller für das Servieren von Sardinendosen verfügen; aber das ist in einem Land, in dem man sogar einen Begriff für Leute kennt, die Sardinenbüchsen sammeln (sardinopuxiphile), ja selbstverständlich.

Und was das kritische Bewusstsein angeht: Gewohnheitsmäßige Konsumenten von Garnelencurry oder Thunfischsushi werden nach Lektüre von Grescoes Buch vielleicht den Wunsch verspüren, ihre Nahrung umzustellen. Die Liebhaber von Fischstäbchen oder „Filet-o-Fish“ dagegen können auch morgen noch ruhigen Gewissens zubeißen, denn der Alaska-Seelachs gilt als nachhaltig gefischt.

KATHARINA GRANZIN

Taras Grescoe: „Der letzte Fisch im Netz“. Aus dem Englischen von Franka Reinhart. Blessing Verlag, München 2010, 560 Seiten, 19,95 Euro