Eine ganz besondere Mao-Mütze

ANTITOTALITARISMUS Stéphane Courtois kann es nicht lassen: Nach dem „Schwarzbuch“ hat er nun das „Handbuch des Kommunismus“ herausgegeben

Es gibt Bücher, mit deren Besprechung man am besten hinten beginnt. Dazu gehören Handbücher. Bei diesen ist es empfehlenswert, mit der Durchsicht der Bibliografie zu beginnen, denn Handbücher beanspruchen, das Wissen auf dem Stand der wissenschaftlichen Forschung darzustellen.

Beim „Handbuch des Kommunismus“ von Stéphane Courtois, der 1997 mit dem „Schwarzbuch des Kommunismus“ einigen Wirbel verursachte, fällt dieser Bibliografie-Test ernüchternd aus. Die sehr überschaubare Bibliografie enthält nur etwas über 50 Titel, ein Siebtel davon von Courtois selbst, auf Zitate und Sachbelege wird großzügig verzichtet. Diese Selbstbeschränkung zeichnete schon die meisten Beiträge des „Schwarzbuchs“ aus – für ein „Handbuch“ indes eine ziemlich dünne Grundlage.

Das „Handbuch“ gliedert sich in eine „Kurze Geschichte des Kommunismus“, einen Glossar von „Afghanistan“ bis „Zivilgesellschaft“ und einen Beitrag über „Kommunismus in Deutschland“ von Klaus Schroeder und Jochen Staadt vom Berliner Forschungsverbund SED-Staat. Auffällig sind die Disproportionen: Courtois braucht für seine „Kleine Geschichte des Kommunismus“ von den Ursprüngen in der Französischen Revolution bis 1991 etwa gleich viel Platz wie Schroeder/Staadt für ihren Beitrag.

Viele Autoren, von denen einige schon am „Schwarzbuch“ beteiligt waren und eine maoistischer Vergangenheit wie Courtois haben, neigen zu rigoroser Vereinfachung, die sich zu Gemeinplätzen verdichten: „Die Oktoberrevolution ist also das Ergebnis des Zusammentreffens eines besonderen Menschen mit einer besonderen historischen Situation.“ Allerweltsätze in dieser Preislage finden sich im „Handbuch“ auf Schritt und Tritt. Schroeder/Staadt charakterisieren die Geschichte der DDR als Entwicklung „vom gewaltsamen totalitären System zu einem spättotalitären Versorgungs- und Überwachungsstaat“, wobei sie an keiner Stelle klären, was sie mit „totalitär“ meinen.

Es gehört zu den mittlerweile bekannten Schwächen der Totalitarismushypothese, dass sie die Entstehungsbedingungen von Leichenbergen und von Aktenbergen, von Völkermorden und Massenmorden und der Inkaufnahme von Toten als Kollateralschäden verbrecherischer oder leichtfertiger Politik nicht so richtig unterscheiden kann und deshalb immer wieder ins Belanglose abrutscht. Schroeder/Staadt möchten den Antikommunismus als „notwendige politische Tugend“ rehabilitieren und plädieren für einen „antitotalitären Konsens“.

Diese Phrase stammt aus Frankreich und war so etwas wie das Firmenlogo der „neuen Philosophen“ um André Glucksmann und Bernard-Henri Lévy. Der Historiker Michael Christofferson hat jüngst die Legende entzaubert, wonach Solschenizyns Bücher den „antitotalitären Konsens“ begründet und die „neuen Philosophen“ sich seitdem vom „dogmatischen Traum“ des Stalinismus verabschiedet hätten. Aber, so Christofferson, faktisch tauschten sie nur „das Ideal sozialer Gerechtigkeit, das das französische Denken seit 1945 belebte, gegen eine liberale und postmoderne Normalisierung“. Aufgeschreckt durch die Ankunft der Linken an den Hebeln der Macht, legten sie ihre Mao-Mützen ab und gaben sich fortan total-normal-liberal.

RUDOLF WALTHER

Stéphane Courtois (Hg.): „Das Handbuch des Kommunismus. Geschichte. Ideen, Köpfe“. Aus dem Französischen von Enrico Heinemann, Ursula Held und Stephanie Singh. Piper, München 2010, 752 Seiten, 49,95 Euro