„Wir werden für ihn beten“

PREDIGT Ein Pastor redet über geistlichen Missbrauch innerhalb der evangelischen Kirche

■ 57, ist seit 1985 Pastor der Evangelischen St.-Markus-Gemeinde am Arsterdamm in Bremen.

taz: Herr Jander, Sie definieren geistlichen Missbrauch als Form von emotionalem Missbrauch in der Tarnjacke von frommen Sprüchen – trifft nicht genau das zum Beispiel auf viele evangelische Freikirchen zu?

Matthias Jander: Ich weiß nicht, wovon Sie reden. Ich kenne gute Freikirchen. Und es kann genauso auch bei Landeskirchen geschehen, dass Menschen unter Druck gesetzt werden. Das passiert schleichend, weil sich die Botschaft des Evangeliums und auch der Zusammenhalt in der Gemeinde erst einmal positiv anhören. Aber manchmal wird durch biblische Lehren auch Druck ausgeübt und die Menschen fühlen sich verpflichtet, Zeit zu investieren oder sogar Geld – aber nicht aus Dankbarkeit und Freiheit, sondern nur aus einem inneren Druck heraus. Oder es entstehen Strukturen, wo zum Beispiel ein Jugendleiter oder Pastor zu einer Art Guru wird.

Ihnen als Pastor sollte doch daran gelegen sein, dass die Menschen zu Ihnen kommen. Bewegen Sie sich nicht auf dünnem Eis, wenn Sie den Menschen sagen, sie seien nicht verpflichtet, zur Kirche zu gehen?

Nun, das war ja auch schon das Problem von Martin Luther, der die Sonntagspflicht abschaffte und sagte, die Leute sollten aus Dankbarkeit gegenüber Gott in die Kirche kommen. Es kamen deutlich weniger als zuvor. Ich bin aber überzeugt davon, dass ein Mensch, der sich durch das Evangelium befreit fühlt, positiv damit umgeht.

Der Gottesdienst besteht aus einer starren Folge von Abläufen, und Regeln – ist das nicht das Gegenteil von Befreiung?

Nein: Räume, wo ich loslassen kann, schaffen Regeneration und neue Kraft – auch dafür, sich aus freien Stücken dem Glauben zuzuwenden. In der Bibel geht es viel um Vernunft und Verstehen – und wenn aus Horchen, Hören und Verstehen ein Gehorchen entsteht, dann ist das etwas ganz anderes als ein Kadavergehorsam.

Was ist denn, wenn sich ein Mensch von der Kirche abwendet?

Dann ist das schade, dann müssen wir uns fragen, ob wir uns nicht genug um ihn gekümmert haben.

Aber es könnte doch sein, dass er aus freien Stücken festgestellt hat, nicht an Gott zu glauben.

Dann ist das Abwenden von der Kirche natürlich konsequent, und das muss man auch akzeptieren. Wir wollen ja keine Marionetten sein. Freiheit bedeutet auch die Freiheit, sich anderen Dingen, vielleicht auch negativen Dingen zuzuwenden. Wir werden aber weiter für ihn beten. INTERVIEW: SCHN

Sonntag, 10.30 Uhr, evangelische Kirche am Arsterdamm 12