Risse im Leben der Generation Facebook

KINDER DER KRISE Der Ernstfall hält Einzug in eine empfindsame Welt – im ersten Roman der Bloggerin Elisabeth Rank bringt der Verlust eines Freundes alles durcheinander: „Und im Zweifel für dich selbst“

Für Lisa Rank ist das Internet ihr Zuhause. Sie wohnt da, schon seit Jahren. Auf nicht weniger als „neun verschiedenen Portalen“ hat die FAZ die heute 25-jährige Autorin mal gefunden. Dort stellt sie ihre Fotos aus, ihren Musikgeschmack, ihre Texte – man könnte auch sagen: Sie veröffentlicht ihr Leben. Und was vielen Älteren nicht in den Kopf will: Sie findet nichts dabei, ihr Inneres so nach außen zu kehren. Allein bei Facebook hat Rank 46 Fotos von sich eingestellt und das Cover ihres Romans „Und im Zweifel für dich selbst“ – auf dem sie auch zu sehen ist.

Eines von Ranks großen Talenten besteht darin, Nähe herzustellen – auch wenn man einander noch nie persönlich begegnet ist. Das wird in Ranks Blogtexten deutlich und nun eben in ihrem unter ihrem vollen Vornamen Elisabeth veröffentlichten Roman, der dort spielt, wo niemand sein will: mitten im Schmerz.

Tim ist tot, gestorben bei einem Autounfall. Seine Freundin Lene und die Ich-Erzählerin Tonia steigen ins Auto und fahren an die Ostsee, bloß raus aus Berlin, weg von all der gemeinsamen Vergangenheit, die plötzlich keine Zukunft mehr hat: „Die allgemeine Richtung war klar, der Blick nach hinten war im Stillen verboten worden. Die Angst vor einer falschen Bewegung, einem falschen Wort, einer offensichtlichen Erinnerung überlagerte alles.“

Auf echten Tod waren Lene und Tonia nicht vorbereitet – kann man das überhaupt sein? „Wir hatten keine Zusammenhänge mehr“ – der Verlust des Freundes bringt alles durcheinander. „Dass mein Inneres plötzlich nicht mehr mit dem Äußeren übereinstimmt“, bemerkt Lene verstört. Tonia versucht, ihr eine Stütze zu sein – nur wie soll das gehen, wenn man selbst wankt wie nie zuvor? „Man rechnet nicht damit und ich hatte Angst, es würde von uns nichts übrig bleiben. Dass uns die Sonne und die Situation mit Messer und Gabel aufessen würden, erst in kleine Stücke zerteilen und dann gemütlich auf den breiten Kauflächen zermalmen.“

Angst – Lisa Rank gehört einer Generation an, die wieder einen Bezug zu diesem hässlichen Wort hat. Das Anything goes der 90er-Jahre ist verdammt lang her. Rank ist ein Krisenkind, genau wie ihre Figuren, die wissen, dass ihr kuscheliges Berliner Studentenleben der letzte Schutzraum vor dem Ernst des Lebens ist. Entsprechend groß ist der Schock, als sie durch Tims Unfall ohne Vorwarnung hinausgeschubst werden – paradise lost. Ein Zurück gibt es nicht.

Lisa Rank ist gut vernetzt – am besten allerdings mit sich selbst: „Und im Zweifel für dich selbst“ zeugt mit all seinen detailverliebten Beschreibungen und Reflexionen von einem hohen Grad der Empfindsamkeit. „Und auf einmal war ich mir sicher, ich wäre auseinandergefallen, wäre er eine Minute später gekommen“, heißt es etwa, wenn Lenes und Tonias gemeinsamer Freund Vince an der Ostsee zu ihnen stößt. „In Einzelteilen hätte ich herumgelegen, der Kopf wäre von der Treppe unter den Schrank gerollt, die Arme hätten neben Lenes Lager auf dem Sofa gelegen als kleine Attrappen für den Ernstfall, als Simulation.“

Beim Abspülen wird Tonia später ein Teller aus der Hand rutschen und in zwei Teile zerspringen, „sodass es auf den ersten Blick aussah, als könne man ihn einfach in der Mitte wieder zusammenkleben. Ein schmaler Streifen in der Mitte jedoch war in viele kleine Teile zersplittert. Hielt man die beiden Hälften aneinander, blieb in der Mitte ein Riss“ – ein einfaches, aber eindrückliches Bild für den Verlust, der in das Leben eindringt und genau wie ein Einbrecher, der einmal in deinen Privatsachen gewühlt hat, nie wieder ganz verschwinden wird. DAVID DENK

Elisabeth Rank: „Und im Zweifel für dich selbst“. Suhrkamp Nova, Berlin 2010, 200 Seiten, 12,90 Euro