Ein bisschen Freiheit

AUFBRUCHSTIMMUNG Vor 40 Jahren sah es für ein paar Tage so aus, als würde die DDR das enge Korsett der Gleichschaltung abstreifen. Die X. Weltfestspiele der Jugend sind immer noch Legende. Hinter dem bunten Treiben steckte aber auch jede Menge Repression

VON JENS UTHOFF

Im Rosengarten des Treptower Parks steht, etwas unbemerkt, eine Skulptur. Sie gleicht einem metallenen Bäumchen, an dem wie Äpfel glänzende Silberkugeln hängen. „Festivalblume“ heißt das Werk des Bildhauers Achim Kühn. Es bildet das Emblem der X. Weltfestspiele nach.

Das Denkmal ist eines der wenigen verbliebenen Zeugnisse von einem der buntesten Feste in der Geschichte der DDR, den Weltfestspielen der Jugend und Studenten von 1973. An diesem Sonntag jährt sich deren Eröffnung zum 40. Mal. Acht Millionen Menschen feierten und sangen damals auf den Straßen Ostberlins. Vom „Woodstock des Ostens“ ist heute gern die Rede.

Überall Langhaarige

Der Vergleich hinkt nicht völlig: Auf 95 Bühnen spielten Beat- und Rockbands, es gab Volksgesänge aus Südamerika und Afrika, Langhaarige machten es sich auf Straßen und Grünflächen bequem – ein ganz neues Bild.

„Wir hofften auf eine DDR mit menschlichem Antlitz“, sagt Thomas „Monster“ Schoppe, 68 und schon damals Mitglied der Klaus Renft Combo. Erich Honecker hatte zwei Jahre zuvor Walter Ulbricht abgelöst. „Diese Hoffnung wurde bitter enttäuscht.“

Im 1992 abgerissenen Stadion der Weltjugend, wo heute die BND-Zentrale steht, begannen die Spiele mit einer Eröffnungsparade. Von der Tribüne winkte das Politbüro und die FDJ-Führung, Delegationen aus 140 Ländern marschierten ein – auch eine aus der Bundesrepublik.

Die DDR-Führung wollte Weltoffenheit signalisieren, sie gab sich liberal. Auf einmal durfte man, was man nie durfte: draußen übernachten. Frei diskutieren. „Es kam einem mal fünf Minuten lang so vor, dass man ein offenes Wort sprechen konnte, ohne Angst zu haben“,

sagt Nina Hagen, die damals auch auftrat. Die FDJ, die die Spiele organisierte, gab sich kämpferisch gegenüber Militarismus, Faschismus und Ausbeutung. Die Blauhemden waren genau geschult worden, wie sie den Teilnehmern aus kapitalistischen Ländern begegnen sollen.

Zu denen gehörte auch eine Delegation mit den späteren CDU-Granden Klaus-Rüdiger Landowsky und Eberhard Diepgen. Sie waren an den gelben Hemden zu erkennen, auf denen „Junge Union“ prangt. In ihrer Partei sah man den Ausflug in den Osten nicht so gern.

Stasi, getarnt als FDJ

Jeder ist willkommen – das war das offizielle Gesicht der Spiele. Das andere wurde vielen erst später bewusst: 24.000 Stasi-Mitarbeiter und Volkspolizisten überwachten das Geschehen, die meisten als FDJler getarnt. Schon im Vorfeld hatte es Repressionen gegeben, gegen „Asoziale“, psychisch Kranke oder „HWG“ („Personen mit häufig wechselndem Geschlechtspartnern“, sprich: Prostituierte).

Im Rahmen der „Aktion Banner“ waren in den Monaten vor den Spielen rund 2.300 Personen vorsorglich verhaftet oder in die Psychiatrie eingewiesen worden. Andere konnten gar nicht anreisen. „Sie mussten in ihrer Heimatstadt bleiben und durften Berlin nicht betreten“, erinnert sich Schoppe. „Das betraf die, die als Störenfriede oder Oppositionelle gesehen wurden.“

Für den Historiker Stefan Wolle, heute wissenschaftlicher Leiter des DDR-Museums, waren die Weltfestspiele der Probelauf einer Doppelstrategie: „Auf der einen Seite signalisierte man Entspannung, es gab Lockerungen gesellschafts- und kulturpolitischer Art“, sagt er. Auf der anderen Seite baute man im Hintergrund den Apparat von Kontrolle, Überwachung und Bespitzelung aus – was damals natürlich niemand wusste.“

Angela Davis und Arafat

Stargast der Spiele war die US-Bürgerrechtlerin Angela Davis, bekennende Kommunistin und zeitweise inhaftiert. Einen besseren Gast als die Frau mit dem großen Afroschopf hätte man sich nicht aussuchen können, um sich als Alternative zur kapitalistischen Welt zu präsentieren. Auch Jassir Arafat war gekommen, es wurden antiisraelische Demonstrationen veranstaltet.

Gerade bei den offiziellen Akten, so Wolle, sei alles minutiös einstudiert gewesen: „Man kann heute schwer zwischen wirklicher und inszenierter Freude trennen. Viele Leute unterwarfen sich bereitwillig der Inszenierung. Vielleicht, um der Erniedrigung zu entgehen.“ Auf einer unpolitischen Ebene hätten sich die Ostberliner natürlich wirklich gefreut, weil so viel los war. Dass der 80-jährige Ulbricht während der Spiele starb, sorgte für ein eher kurzes Innehalten.

Die Festspiele waren eine perfekte Inszenierung des Politischen. Die Weltöffentlichkeit konnte glauben, die DDR sei der liberalste Staat der Welt. Die Propagandaschlacht ging trotzdem weiter. Die FAZ bemühte anlässlich der Eröffnungszeremonie Nazi-Reminiszenzen: „Ähnliches – der Vergleich drängt sich auf – hatte Berlin schon einmal erlebt: Perfektion bei der Steuerung von Massen.“ Ein ganz anderes Resümee zog Erich Honecker. Er fragte zum Abschluss rhetorisch: „Was sich auf diesem Festival abgespielt hat – wo gibt es eigentlich eine größere Meinungsfreiheit auf der Welt?“