Wichtig ist, mit wem man es tut

COMIC Aberwitzig, unmoralisch, hochsubversiv: „Die große Odaliske“ ist die Geschichte dreier Kunsträuberinnen, die sich durch niemanden stoppen lassen. Nicht von der Mafia, nicht von der Polizei

VON ELISE GRATON

Vor den Kunsträuberinnen Alex und Carole ist kein Museum und kein Kunstwerk sicher. Kaum ist das Pariser Musée d’Orsay um Édouard Manets berühmtes Gemälde „Das Frühstück im Grünen“ ärmer geworden, geht es schon an den nächsten größenwahnsinnigen Auftrag. „Die große Odaliske“ von Ingres soll aus dem hochgesicherten Louvre in Paris entführt werden.

Diesmal lässt sich die diebische Hochleistung allerdings nicht allein bewältigen und das eingespielte Duo holt sich mit der Motorradakrobatin Sam Verstärkung ins Boot. Werden die drei Damen ein gutes Team ergeben, ihre Egos überwinden und gemeinsam den riskanten Auftrag erledigen? Davon erzählt der neue, von Bastien Vivès, Jérôme Mulot und Florent Ruppert gezeichnete Comicband „Die große Odaliske“.

Auf Anhieb erinnert das sexy Powerfrauen-Trio an die drei Diebesschwestern aus Tsukasa Hojos Manga „Cat’s Eyes“, der ab Ende der 1980er als Zeichentrickserie im französischen Fernsehen lief. Deren Visitenkarte – erkennbar an der Abbildung einer roten einäugigen Katze – ziert zwischen Ninjasternen auch tatsächlich die Wand ihres Waffenhändlers.

Doch die Hommage ist nur ein Augenzwinkern. Von Seite zu Seite wird deutlicher, dass Alex, Carole und Sam vor allem die fiktiven weiblichen Actionpendants ihrer drei männlichen Zeichentischschöpfer verkörpern.

Ruppert und Mulot lernten sich bereits 1999 an der Kunsthochschule von Dijon kennen. Seitdem arbeiten sie als Zeichner- und Autorenduo so harmonisch und einstimmig, dass sich nicht genau sagen lässt, wer bei den beiden für was wann federführend die Verantwortung trägt. Ihre aberwitzigen und hochsubversiven Comicgeschichten veröffentlichten sie zunächst auf einer gemeinsamen Website, bis sie der französische Comicverlag L’Association 2005 unter Vertrag nahm. Bisher ist auf Deutsch nur ihr „Affentheater“ erschienen – eine elegant gezeichnete Erzählung über zwei sarkastische Porträtfotografen und ihre geisteskranken AuftraggeberInnen.

Dagegen ist das international gefeierte und mit Preisen überhäufte Comicwerk von Einzelgänger Bastien Vivès auch in Deutschland längst ein Begriff. Mit „In meinen Augen“, „Polina“ oder „Für das Imperium“ überraschte er mit stets wechselnden Stilen und Erzählweisen. Und auch Ruppert und Mulot kommen nicht umhin, sich vor dem Talent von Vivès zu verneigen.

In „Die große Odaliske“ ist es Carole (Ruppert oder Mulot) die sich an Sams (Vivès) Akrobatikkunst nicht sattsehen kann. Etwas trotzig und weniger einsichtig gebiert sich anfänglich noch Alex (Mulot oder Ruppert), denn ein eingespieltes Duo um ein neues Teammitglied zu erweitern (also zu dritt an einem Comic zu schreiben), das sei ein riskantes Experiment, ja ein Abenteuer – auf künstlerischer wie zwischenmenschlicher Ebene.

Freude am Risiko

Alex’ Versuch, Sam beim Messerwerfen zu beeindrucken, angeblich ihr Spezialgebiet, geht allerdings gleich gründlich daneben. Beim Üben mit dem Betäubungsgewehr erlegt Sam später ungewollt das halbe Sicherheitspersonal des Louvres.

Doch das anfängliche Konkurrenzgehabe ist schnell vergessen. Bald durchlebt das vereinte Trio die unwahrscheinlichsten Abenteuer, wird immer improvisations- und risikofreudiger, und bleibt dabei doch angenehm derb. Egal ob die Damen gerade in hochgesicherte Kunsttempel eindringen, über die Dächer von Paris klettern oder sich im Nahkampf mit mexikanischen Drogenbossen bewähren müssen, stets plaudern die drei unentwegt über dies und das, alltägliche Banalitäten und große Träume, Sex in Swingerclubs und Männer, die per SMS Schluss machen – wie andere vielleicht im Büro oder eben am Zeichentisch.

Mit subversiver Freude treiben die drei Autoren die Diskrepanz zwischen der halsbrecherischen Action und der nonchalanten Leichtigkeit der Dialoge ad absurdum und beweisen einmal mehr, dass ihnen das Genre nur als Trägermedium für ihre pointierte Schilderung einer zugleich kultivierten und brutalen – und nicht zuletzt egoistischen – Gesellschaft dient. Ihre Figuren umweht keine eindeutige Coolness à la „Cat’s Eyes“ oder „Charlie’s Angels“, hinter all den Sprüchen steht eher die Sehnsucht nach einem alternativen, kompromissloseren Lebensentwurf. „Das Wichtigste im Leben ist nicht, was man tut. Sondern mit wem man es tut“, sagt Carole zwischendurch zu Sam. Für „Die große Odaliske“ haben Ruppert und Mulot mit Vivès jedenfalls eindeutig den richtigen Partner gefunden.

Vivès, Ruppert & Mulot: „Die große Odaliske“. Deutsch von Mireille Onon. Reprodukt Verlag, Berlin 2013, 128 Seiten, 20 Euro